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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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verschaffen. Allerdings überwiegt zu diesem Zeitpunkt bereits der Rückreiseverkehr; längst ist die Revolution in ihre kritische Phase getreten: Der Terror kündigt sich an. Seit einigen Monaten befindet sich Frankreich im Krieg mit der Allianz aus Preußen und Österreich; nach einer von Auflösungserscheinungen begleiteten Niederlage der französischen Armee in Belgien drohen die Alliierten mit dem Einmarsch nach Frankreich. Und nachdem es schon im Juni zu einer Massendemonstration gegen den König gekommen ist, erstürmt das Volk nun die Tuilerien. Die königliche Familie wird gefangen gesetzt, Danton, Robespierre und Marat rufen die Volksjustiz aus.
    Das ist die Situation, als am 8. September 1793 der Maler Johann Heinrich Füssli samt seiner Ehefrau Sophie, der Verleger Joseph Johnson und die Publizistin Mary Wollstonecraft ihren für sechs Wochen geplanten »Sommerausflug« nach Paris antreten, wie Letztere das Unternehmen etwas leichtfertig bezeichnet. Doch schon in Dover verlässt sie die Reiselust, als sie die neuesten Nachrichten aus Paris erreichen.
    Dort ist es nach dem 2. September zu Massakern gekommen, bei denen über tausend Menschen ermordet worden sind. Als die feindlichen Truppen kurz vor Paris stehen, verbreitet sich in Paris das Gerücht, dass die Royalisten im Fall einer Invasion blutige Rache an den Revolutionären üben wollen. In einer kollektiven Psychose aus Angstgefühlen und Rachegelüsten stürmt der Mob, angestachelt vom provisorischen Exekutivausschuss, die Gefängnisse und massakriert zunächst nur die inhaftierten Revolutionsgegner, später auch gewöhnliche Gefangene. Danton als zuständiger Justizminister unternimmt nichts dagegen. Die Londoner Times bringt in ihrer Ausgabe vom 10. September Augenzeugenberichte von dem entsetzlichen Geschehen, darunter den folgenden von der Enthauptung der Fürstin von Lamballe, der engsten Vertrauten der Königin Marie Antoinette: »Vor ihrem Tod fügte der Mob ihr jede Beleidigung zu. Ihre Schenkel wurden zerschnitten, ihre Eingeweide und ihr Herz aus dem Leib gerissen, und zwei Tage lang wurde ihr zerfleischter Körper durch die Straßen gezogen.« Nach anderen Berichten wurde ihr Kopf auf eine Pike gespießt und vor den Fenstern des königlichen Gefängnisses triumphierend umhergetragen. »Sind das die ›Rechte des Menschen‹?«, fragt die Times . »Ist das die FREIHEIT der menschlichen Natur?«
    Insbesondere Johann Heinrich Füssli, in England unter dem Namen Henry Fuseli bekannt, hegt daraufhin keine Sympathie mehr für die Revolution. Johann Heinrich ist der Sohn des Schweizer Malers Johann Caspar Füssli, der 1751 Klopstock während dessen Aufenthalts in Zürich porträtiert hat. Schwierigkeiten mit den Züricher Behörden wegen der Mitarbeit an einem radikalen politischen Pamphlet haben Johann Heinrich bereits 1765 nach London geführt. Dort ist »The Wild Suisse«, wie er rasch genannt wird, zunächst publizistisch tätig. Der junge Buchhändler und Verleger Joseph Johnson, mit dem er auf diese Weise in Kontakt kommt und eine Zeitlang sogar zusammenwohnt, veröffentlicht von ihm eine panegyrische Schrift über Rousseau. 1770 geht Füssli für beinahe ein Jahrzehnt nach Italien, wo er sich zum Maler ausbildet.
    Als er 1779 zurückkehrt, nimmt auch die Beziehung zu Johnson wieder Fahrt auf. Dieser residiert mittlerweile in der Buchhändlerstraße St. Pau l ’s Churchyard und betreibt dort in der Nummer 72 in einem dreistöckigen Gebäude die größte Verlagsbuchhandlung weit und breit. Sein Haus hat sich zu einem Zirkel der intellektuellen Avantgarde entwickelt – eine Art Suhrkamp-Kultur in einer Epoche, in der für die Denker, Literaten und Künstler zum ersten Mal revolutionärer Geist greifbar wird, zuerst in der langen Amerikanischen Revolution, die mit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten am 4. Juli 1776 endet, und dann, geographisch näher, in der vergleichsweise kurzen Französischen Revolution. Zum »Johnson Circle«, wie er genannt wird, zählen sogar Teilnehmer an beiden Ereignissen. Der berühmteste von ihnen ist Thomas Paine, der zu den Gründervätern der USA gehört und 1792 Mitglied der französischen Nationalversammlung wird. Seit Ende der 1780er Jahre steht er in engem Kontakt mit Johnson. Paines Jahrhundertschrift, Die Rechte des Menschen , in der er die Französische Revolution verteidigt und ihre Ideen mit denen der Amerikanischen Revolution verbindet, soll ursprünglich in seinem Verlag

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