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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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der Mädchenerziehung und letztlich der weiblichen Sitten auf. Mädchen sollen die gleiche Bildung erhalten wie Jungen, Frauen die gleichen Lebenschancen haben wie Männer, eingeschlossen die Chance auf soziales Fortkommen, Eheschließungen sollen ohne Zwang erfolgen. Weibliche Unabhängigkeit im Denken und Handeln und die Ausübung der Mutterrolle sind für sie keine Gegensätze. In einer Zeit, in der es üblich war, dass die bessergestellten Frauen ihre Kinder nach der Geburt weggaben und von Fremden aufziehen ließen, plädiert sie für eine selbstbewusste, aufgeklärte Mutterschaft. Um eine gute Mutter zu sein, müsse eine Frau »Verstand und jene geistige Unabhängigkeit haben, die wenigen Frauen eigen ist, denen man beibringt, sich ganz auf ihren Mann zu verlassen«, schreibt sie. Mary Wollstonecraft hat als Erste gesehen, dass die Emanzipation der Frauen von der Mitwirkung der Männer abhängig ist. Solange die Männer ihre väterlichen Pflichten nicht erfüllen, argumentiert sie, sei auch von den Frauen nicht zu erwarten, dass sie ihre Zeit statt vor dem Spiegel im Kinderzimmer verbringen. Die übermäßige Beschäftigung der Frauen mit ihrem Aussehen hält sie für den hilflosen Versuch, »indirekt ein wenig von der Macht abzubekommen, an der ihnen ungerechterweise der Anteil verweigert wird«. »Ich will allen Ernstes, dass der Geschlechterunterschied in der Gesellschaft aufgehoben werde, außer dort, wo die Liebe das Verhalten bestimmt«, schreibt sie. Das sei ihr »wilder Wunsch«.
    Wie aber verhält es sich mit jenem Bereich, »wo die Liebe das Verhalten bestimmt«? Soll er von der geforderten Gleichstellung der Frau mit dem Mann ausgenommen sein? Hier nähert sich Mary Wollstonecrafts Argumentation einem heiklen Punkt: Ihr weiter reichendes Anliegen ist es, das Prinzip der Revolution auch auf das Verhältnis von Männern und Frauen als Geschlechtswesen anzuwenden – die Frau als Vernunftwesen, aber auch als eigenständiges sexuelles Wesen anzuerkennen. Wir brauchen nicht nur eine politische, sondern auch eine sexuelle Revolution, könnte man ihre ursprüngliche Einsicht formulieren, aus deren Geist heraus die zweite Vindication geschrieben ist. Die politische Revolution sei so lange nicht abgeschlossen, möglicherweise sogar zum Scheitern verurteilt, als sie nicht durch eine sexuelle Revolution ergänzt werde. Aus guten Gründen vermeidet Mary es, in diesem Punkt allzu konkret zu werden. Worum es aber letztlich geht, ist klar: gleiche Freiheiten für beide Geschlechter in Fragen der Sexualität und der Liebe. Das meint freie Partnerwahl und gegebenenfalls deren Revision, inbegriffen die Auflösung der Ehe, wenn die Wahl des Partners etwa durch elterlichen Zwang erfolgt ist oder die Ehe einem der beiden Partner Unzumutbarkeiten aufbürdet. Diese können auch darin bestehen, dass er oder sie durch die Ehe in der Entfaltung der Persönlichkeit behindert wird. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
    Für uns heute mögen das Selbstverständlichkeiten sein, in der Zeit, in der Mary Wollstonecraft lebte, rührten solche Ansichten an das Fundament der sozialen Ordnung. Ein Leser ihrer Schrift, der Dichter James Lawrence, formulierte ihre Forderungen mit einer Direktheit, die ihr selbst nicht zu Gebote stand: »Erlaubt jeder Frau vollkommen unbeaufsichtigt von einem Mann zu leben und lasst sie in den Genuss aller Freiheiten kommen, die sich die Männer gegenwärtig herausnehmen; erlaubt ihr, von so vielen Liebhabern besucht zu werden, wie sie möchte und was auch immer ihre soziale Stellung sein möge.« Doch schon das, was sie andeutungsweise zum Thema »freie Liebe« sagt, reicht aus, um die Grenzen dessen zu überschreiten, was guter Geschmack und Toleranz zu ihrer Zeit hinzunehmen bereit sind.
    Gutwillige zeitgenössische Leser und Rezensenten der zweiten Vindication hielten sich deshalb an das Recht auf Bildung der Frau, das in Deutschland etwa auch Theodor Gottlieb von Hippel in seiner Streitschrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber einklagt. Darauf konnte man sich in den 1790ern gerade noch verständigen. Die eigentliche Sprengkraft von Marys Schrift hingegen wurde zwangsläufig eher von denen bemerkt, die sie empört ablehnten - etwa einem Rezensenten der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung , der meinte, hier werde einer »Totalrevolution in der Verfassung des weiblichen Geschlechts« das Wort geredet.
    Während die zeitgenössische Intelligenz noch über Marys Thesen

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