Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
»weiblichen Werther«. Die Botschaft ist klar: Nicht moralische Nachlässigkeit, sondern extreme Feinfühligkeit war der Grund dafür, dass Marys Leben derart unkonventionell verlief. So schaffte es Goethes rebellischer Jugendroman, den Mary gut kannte, noch in die Kreise der radikalen Frauenemanzipation und der Apologeten der freien Liebe. Es sollte nicht seine letzte Station sein.
Den Anarchisten William Godwin hat Mary ein Jahr vor ihrem Aufbruch nach Paris auf einem Dinner bei Johnson, dem Verleger, kennengelernt. Die beiden waren sich herzlich unsympathisch. Außer ihnen war noch Thomas Paine zugegen, bekam aber, wie es seine Art war, kaum den Mund auf. Das Gespräch drehte sich um große Männer; Mary, ganz Rezensentin und Frauenrechtlerin, sah alles von der negativen Seite und sparte nicht mit polemischen Urteilen. Godwin hingegen fühlte sich bemüßigt, die Männer zu verteidigen. Und so ging man verärgert und in gegenseitiger Abneigung auseinander. Nun, vier Jahre nach der ersten Begegnung, treffen Feministin und Anarchist einander wieder und schließen Freundschaft, welche in Liebe übergeht – anders als bei der Beziehung zu Imlay, die leidenschaftlich begann und lieblos endete. Beide sind aus Prinzip gegen die Ehe, Godwin noch vehementer als Mary. Die Institution der Ehe sei ein System gegenseitigen Betrugs, erklärt er in seinem Hauptwerk Politische Gerechtigkeit , eine Folge vor allem der Feigheit der Männer, die sich gegen den Verlust ihrer Frauen absichern wollten. Ihre Abschaffung bringe keinerlei Nachteile, im Gegenteil sollten Männer wie Frauen frei darin sein, Sex zu haben, mit wem und auch so lange es ihnen beliebt. Und doch heiraten er und Mary, als diese ein zweites Mal schwanger wird. Das Glück, das daraus hervorgeht, ist ein Experiment, so wie Marys gesamtes Leben von Anbeginn an ein Experiment gewesen sei, meint Virginia Woolf in ihrem bezaubernden Essay über Mary Wollstonecraft: »ein Versuch, menschliche Konventionen enger mit menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen«. Es ist auch ein kurzes Glück: Godwin und ihr sind nur wenige gemeinsame Monate beschieden. Am 10. September 1797 stirbt Mary Wollstonecraft, verheiratete Godwin, im Alter von achtunddreißig Jahren, wenige Tage nachdem sie einer zweiten Tochter das Leben geschenkt hat, am Kindbettfieber.
Die meisten Historiker sind sich einig, dass es zum Ende des 18. Jahrhunderts hin rasch wieder still wurde um die Frauenfrage. Dabei behandeln sie das Phänomen oftmals ausschließlich auf der Ebene der Texte, der publizierten und unter den Zeitgenossen in der Regel nur gering verbreiteten Schriften. Und in denen begannen sich die frauenfeindlichen, restaurativen Tendenzen in der Tat schon bald wieder durchzusetzen, während Bücher wie die von Theodor Gottlieb von Hippel oder Mary Wollstonecraft keine nachhaltige Wirkung ausübten und zunehmend in Vergessenheit gerieten. Angesichts dessen sieht es so aus, dass um 1800, nach einer kurzen Phase, »in der die Weiber frech geworden«, die Befürworter einer Emanzipation der Frau bald wieder ins Hintertreffen gerieten. Einen etwas anderen Eindruck erhält man bei Betrachtung der Lebensläufe. Leben wie die von Mary Wollstonecraft oder Caroline Böhmer – mit wilden Ehen, unehelichen Kindern, Scheidung und Wiederverheiratung – waren um und nach 1800 längst nicht mehr jene Ausnahmen, für die wir sie heute halten. Dass Heirat die einzige Weise für Frauen sei, um voranzukommen, wie Mary Wollstonecraft behauptete, und dass der dadurch aufgebaute Konkurrenzdruck die Frauen verdumme, stimmte schon zu dem Zeitpunkt, an dem sie dies schrieb, längst nicht mehr so pauschal. Mary war nicht die Einzige, die die Revolution, die außerhalb ihrer selbst stattfand, zu einer Wirkkraft in ihrem eigenen Leben machte. Die Schriftstellerin Emilie von Berlepsch etwa, eine Bewunderin Wollstonecrafts, bekam mehrere Kinder, ließ sich scheiden, nachdem sie entdeckte hatte, dass ihr Mann ein Verhältnis mit ihrem Kammermädchen hatte, war kurzzeitig mit Jean Paul verlobt, hatte danach diverse Liebschaften, angedichtete wie tatsächliche, unternahm eine längere Reise nach Schottland und heiratete schließlich ein zweites Mal. In ihrer Schrift Über einige zum Glück der Ehe notwendige Eigenschaften und Grundsätze aus dem Jahr 1791 hat sie als Lebensmaxime einer unabhängigen Frau festgehalten: »Wir müssen alleine stehen lernen! Wir müssen unsere Denkart, unsern Charakter in unsern eignen
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