Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Unterhauses und ein bedeutender Redner, seine Betrachtungen über die Revolution in Frankreich veröffentlicht, ist die Empörung in Johnsons Zirkel groß. Denn Burke hat mit seinem Buch ein Manifest gegen die Revolution vorgelegt; er will sein Land vor dem Einfluss der revolutionären Ideen schützen. Johnson muss Mary gar nicht lange überreden; sie ergreift die Gelegenheit beim Schopf und erhebt ihre Stimme. Es sei unmöglich, ein halbes Dutzend Seiten von Burkes Buch zu lesen, meint sie, ohne den Scharfsinn des Verfassers zu bewundern oder entrüstet seine Spitzfindigkeiten und Trugschlüsse zurückzuweisen. Letzteres macht sie zu ihrer Sache. A Vindication of the Rights of Men nennt sie ihre in wenigen Wochen verfasste Gegendarstellung zu Burkes Schrift, der ersten, die auf den Markt kommt, vor gut drei Dutzend anderen, die noch folgen werden. Vindication meint Verteidigung, aber auch Rechtfertigung. Das von Burke angestimmte Hohngelächter über die Revolutionäre habe sie nicht eingeschüchtert, schreibt sie in der Einleitung. Letztlich ist ihre Schrift nichts anderes als eine besonders umfangreiche Rezension, wie sie sie zu Dutzenden für die Analytical Review geschrieben hat; genauer gesagt, es ist ein Totalverriss.
Die erste Auflage von Marys Pamphlet erscheint anonym. Johnson hat wohl wenig Zutrauen in die Absatzchancen der Schrift einer immer noch nahezu unbekannten Verfasserin, die einem angesehenen Parlamentarier den Fehdehandschuh hinwirft. Doch er soll unrecht behalten. Anfang 1791 muss eine zweite Auflage gedruckt werden, und dieses Mal wird ihr Name auf der Titelei genannt. Die Prominenz, die sie auf diese Weise gewinnt, erweist sich indessen als steigerungsfähig. Gleich im Jahr darauf erscheint Marys zweite Vindication . Burkes Frauenbild – kleine, schwache, hilfsbedürftige Wesen von fragiler Gesundheit – hat schon in der ersten Vindication ihren Widerspruch herausgefordert. Im Sommer 1792 macht sich Mary an die Arbeit. In nur sechs Wochen wirft sie die Schrift aufs Papier, die ihr die Aussicht auf Unsterblichkeit sichert: A Vindication of the Rights of Woman - eine Verteidigung der Rechte der Frau.
Weder Füssli noch sein provozierendes Gemälde »Der Nachtmahr« erwähnt sie in ihrer Vindication of the Rights of Woman . Und doch gibt es zwischen dem Gemälde und ihrem Buch eine enge Verwandtschaft: Beide werden von einem Thema beherrscht, das sich Betrachter wie Leser sofort erschließt, dessen öffentliche Diskussion aber tabu ist: die Sexualität. »Shocking« – wir erinnern uns an Walpoles Kommentar zu »Der Nachtmahr« – war für viele Zeitgenossen, Frauen wie Männer, auch die Lektüre von Wollstonecrafts zweiter Vindication . Anders als der Titel es nahelegt, ist ihr großes Thema nicht der Ausschluss der Frauen aus der öffentlichen Sphäre. Vordergründig betrachtet geht es Wollstonecraft um das Recht der Frauen auf Bildung. Die gesamte weibliche Erziehung ihrer Zeit verfolge in der Hauptsache nur ein Ziel – »sie hübsch erscheinen zu lassen«. Die Mädchen und jungen Frauen, so spitzt sie die geläufige Praxis zu, würden »in Käfigen gehalten wie die gefiederte Rasse, sie haben nichts anderes zu tun, als sich zu putzen und mit scheinbarer Erhabenheit von Stange zu Stange zu stolzieren«. Diese Erfahrung hat sie in dem einen Jahr ihrer Gouvernantentätigkeit bei der irischen Familie gemacht. Die Dressur dient einem einzigen Zweck: die jungen Frauen möglichst vorteilhaft zu verheiraten, mit der Konsequenz, dass sie die Käfighaltung im Elternhaus gegen die im Haus des Ehemanns eintauschen. Sie werden zum »Spielzeug des Mannes«, schreibt Mary, »als seine Rassel«, die in seinen Ohren klingelt, wann immer der Herr, die Vernunft beiseiteschiebend, Unterhaltung wünscht.
Dies führt Mary Wollstonecraft zu ihrer ersten Forderung: die Frau nicht nur als sexuelles Wesen, sondern zugleich auch als Vernunftwesen anzuerkennen. Heftig polemisiert sie gegen Rousseaus berühmten Satz, Männer seien nur zeitweise Geschlechtswesen, Frauen hingegen immer. »Frauen wären nicht immer Frauen, wenn es ihnen gestattet wäre, mehr Vernunft zu erlangen«, schreibt sie. Die Schwächen und Fehler, die man den Frauen von alters her aufgrund der Tatsache vorwerfe, dass sie Frauen seien, hätten nichts mit ihrem Geschlecht zu tun, sondern seien in Wirklichkeit Folgen der Unmündigkeit, zu der die Männer und das Heiratssystem sie verurteilen. Deshalb ruft ihre Schrift zu einer Revolutionierung
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