Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
streitet, bricht diese drei Monate nach dem ersten gescheiterten Versuch mitten im Winter 1792 nach Paris auf. Ein zweites Mal werde sie nicht in Dover haltmachen, schreibt sie in einem Brief; »denn da ich allein fahre, heißt es neck or nothing – alles oder nichts«. Will man ein Ziel erreichen, so ihre Einsicht, darf man nicht nach dem ersten Rückschlag schon aufgeben, und man muss im Ernstfall bereit sein, die Sache allein durchzufechten – auch oder gerade als Frau. In der Stadt der Revolution angekommen, erwartet sie indessen eine herbe Enttäuschung. In seinen Betrachtungen über die Revolution in Frankreich hatte Burke bereits drei Jahre vor der Jakobinerherrschaft prophezeit, dass die Revolution in Terror umschlagen werde. Auch seine schärfste Kritikerin muss nun zugeben, dass er wenigstens darin recht behalten hat. Während Marys Pariser Aufenthalt prägt der Abgeordnete Pierre Victurnien Vergniaud ein unvergessliches Bild für die Brutalität der Ereignisse: Wie Saturn verschlinge die Revolution ihre Kinder.
Wenn aber der politischen Revolution so wenig Erfolg beschieden ist, ist es womöglich besser, auf jene andere Revolution zu setzen, die sie erst zur »Totalrevolution« ergänzt – die Revolution der Sitten und der Liebe. Sicher ist das ein guter, womöglich sogar der einzige Weg, um dem Schrecken, der in Paris um sich greift, etwas entgegenzusetzen. Jedenfalls entnehmen wir Marys Briefen, dass die Pariser Leichtlebigkeit äußerst ansteckend auf sie wirkt. Das Leben in Paris gleicht damals einem Tanz auf dem Vulkan. Und Mary beginnt mitzutanzen. Sie hört auf, ihr kastanienbraunes Haar unter Schichten von Puder zu verbergen, sodass es wie ein verblichener Lappen aussieht, und vertauscht die schwere Jacke aus dunkler Wolle mit einer Bluse, die unter der Brust geschnürt wird, wie sie die Pariserinnen tragen.
London hat Mary auch in der Absicht verlassen, ihr privates Unglück vergessen zu können. Dieses Unglück trägt den Namen Füssli, für den sie eine beträchtliche Leidenschaft entwickelt hat, die dieser aber nur halbherzig erwidert. Nun, in Paris, ist das allgemeine Glück zwar sehr viel weniger groß, als sie erhofft hat, dafür jedoch stellt sich, zumindest anfangs, das private ein. Mary macht die Bekanntschaft von Gilbert Imlay, einem amerikanischen Geschäftsmann und Schriftsteller, der während des Unabhängigkeitskrieges aufseiten der Aufständischen gekämpft hat. Der Mann aus dem Westen und die Verteidigerin der Rechte der Frau werden in der Stadt der Revolution ein Paar. Es vergehen nur wenige Monate, da ist Mary schwanger. Imlay hingegen befindet sich inzwischen in Le Havre, wo ihn, wie er beteuert, wichtige Geschäfte festhalten. Im Januar 1794 zieht Mary ihm nach und bringt im Mai in Le Havre die gemeinsame Tochter Fanny zur Welt. Mary lebt mit Imlay zusammen und nimmt aus Rücksicht auf das Kind und auf die Leute seinen Nachnamen an, die beiden sind aber weiterhin unverheiratet. Mitte August, Imlay ist bereits nach London abgereist, neuer Geschäfte wegen, kehrt Mary mit der kleinen Fanny nach Paris zurück. Dort wartet sie bis zum April des nächsten Jahres vergebens auf die Rückkehr des Geliebten und Kindsvaters. Die ganze Zeit über schreibt sie ihm liebevolle, bittende, flehende, wunderschöne Briefe. Von bösen Ahnungen geplagt, macht sie sich schließlich nach London auf, und in der Tat: Imlay hat eine Geliebte, von der er sich trotz der Anwesenheit von Mutter und Kind nicht trennen will. Mary ist verzweifelt; so spät in ihrem Leben hat sie Liebe und Leidenschaft kennengelernt, und das soll nun das Ende sein. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch, reist mit ihrer einjährigen Tochter einige Monate durch Skandinavien, worüber sie ein Buch schreibt, das vielleicht ihr schönstes ist, unternimmt nach ihrer Rückkehr einen zweiten Selbstmordversuch und schlägt schließlich Imlay, den sie immer noch liebt, ein Leben zu dritt vor. Der aber verschwindet mit seiner Geliebten nach Paris, und Mary findet endlich die Kraft, sich von ihm zu lösen.
Als Erster hat William Godwin in seinen Erinnerungen an die Autorin der Verteidigung der Rechte der Frau von dieser Liebestragödie berichtet, die einem wie ein Roman vorkommt, allerdings keiner von der empfindsamen Sorte, die Mary sowieso nicht mochte, sondern ein Roman der Leidenschaft, jedenfalls was ihren Part, den der Frau, angeht. In Anbetracht ihrer unglücklichen Liebe und ihrer Suizidversuche nennt Godwin Mary einen
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