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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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kränkelnde Doktor und die dem Tod zweimal von der Schippe gesprungene Mary. Vampir wie Monster sind Untote: Zwischenweltwesen, die bereits gestorben sind, jedoch als Wiedergänger zu den Lebenden zurückkehren. Sie sind weder lebendig noch tot, vielmehr Nachlebende, die von den gewöhnlichen Lebenden nicht als einer der ihren akzeptiert werden, aber auch keinen endgültigen Tod sterben, der sie aus ihrem misslichen Zustand erlöst. Am Schluss der Geschichten, die von ihnen berichten, verlieren sie sich »in Finsternis und Ferne« wie auch Frankensteins Monster am Ende von Mary Shelleys Roman, nachdem es eine Spur der Vernichtung und Verwüstung gezogen hat. Untote erinnern die gewöhnlichen Sterblichen an unbeglichene Rechnungen oder üben an ihnen Rache für eine nicht getilgte Schuld. Im Falle von Frankensteins Monster ist es Rache an der Hybris des Forschers Viktor Frankenstein: Leben kann er wohl schaffen, aber es fehlt ihm jegliches Einfühlungsvermögen dafür, was es heißt, eine Kreatur in die Welt der Menschen zu entlassen, die ohne jede Chance ist, sich dort auch behaupten zu können.
    Nicht nur die beiden Geschöpfe jedoch, auch deren Urheber stehen einander nahe. Polidori notiert in seinem Tagebuch voller Stolz, Mary habe ihn ihren »jüngeren Bruder« genannt. Ihre seelische und geistige Verwandtschaft hat mit beider prekärem Status in der Welt zu tun: Der dünnhäutige, mit sich selbst unzufriedene Doktor und die belesene junge Frau auf der Suche nach der ihr gemäßen Lebensform sind der eine wie die andere hochbegabte Außenseiter, zumal als Schriftsteller. Obwohl ihre Geschöpfe – der Vampir wie das zum Leben erweckte Monster – rasch zu Mythen der modernen Populärkultur werden und sich im 20. Jahrhundert durch das Medium Film globalen Ruhm erwerben, bleibt ihren Schöpfern der Nimbus eines Lord Byron oder Percy Bysshe Shelley versagt. Sogar ihre Namen sind weitgehend vergessen – als wären sie dem Vampirismus der ungeheuren Wirkungsgeschichte ihrer Gestalten zum Opfer gefallen.
    Als sich einige Tage später das Wetter bessert und Byron und Shelley aufbrechen, um die Schauplätze von Rousseaus Roman Julie oder Die Neue Héloïse rund um den Genfer See zu besuchen, nutzen Polidori und Mary die ihnen dadurch geschenkte freie Zeit für ihre literarischen Ambitionen. Polidori treibt sich weiterhin in Genf herum, wirft zwischendurch aber eine Vampirgeschichte aufs Papier, die der Byrons in nichts nachsteht, sie in vieler Hinsicht sogar übertrumpft. Die Ausgestaltung der seelischen und moralischen Physiognomie der vampirischen Lebensform, die Byron in seinem Fragment den Lesern schuldig bleibt, ist die Stärke von Polidoris Geschichte. Wie eine zeitgenössische Kritik bemerkt hat, macht sie aus dem seit geraumer Zeit auch die Literatur bevölkernden Wiedergänger einen geschäftigen Bewohner unserer Welt. Seit Polidoris Geschichte ist ein Vampir kein Geist mehr, sondern eine Existenz, zudem ein Aristokrat, ein Reisender und ein Verführer.
    Mary sitzt derweil am Schreibtisch ihres Cottage und arbeitet an ihrem Buch, das 1818 erscheint, wie Polidoris Vampirgeschichte für viel Aufregung sorgt und zahllose Nachahmer findet. Während aber noch einige Zeit vergeht, bis auch Vampirfrauen das in vieler Hinsicht männliche Genre zu bevölkern beginnen, ist die geschlechtliche Identität von Frankensteins Monster von Anfang an diffus. Zwar fordert es von seinem Schöpfer ein weibliches Gegenstück, um der schrecklichen Einsamkeit zu entkommen, woraus man schließen darf, dass es sich um einen Mann handelt. Aber Mary hat ihm zugleich die Seele einer Frau verliehen. Ihre Schilderung, wie das Geschöpf die Sprache durch das Belauschen anderer erlernt, liest sich wie ein Stück Autobiographie. Es ist die seinerzeit charakteristische Situation der heranwachsenden Frau, die Bildung und Wissen nicht in Schulen und an der Universität erwirbt, sondern durch Zuhören und Nachahmen im häuslichen Bereich und als Zeugin männlicher Gelehrsamkeit. Im sozialen Außenseitertum von Frankensteins Monster spiegelt sich der zeitgenössische Ausschluss der Frauen von elementaren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.
    Eines der ersten Bücher, die Mary das Geschöpf lesen lässt, ist zugleich ein Lieblingsbuch von ihr selbst und auch ihrer Mutter gewesen: Goethes Leiden des jungen Werthers . Das Monster, so erfahren wir, weint über den Untergang dieses empfindsamen und rebellischen Außenseiters, in dem es die eigene

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