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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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schließlich hat er ihr in der weiblichen Hauptfigur seines Romans ein genaues und, wie sich herausstellen soll, unsterbliches Denkmal gesetzt.
    Wenn er drei Monate später dennoch auf Mademoiselle Leroyer de Chantepies »Fragen«, wie er ihre Leseeindrücke gönnerhaft nennt, eingeht, dann nur, um sich der Empfindsamkeit seiner Leserin zu erwehren: Madame Bovary enthalte nichts Wahres. Weder von seinen Gefühlen noch von seinem Leben habe er etwas hineingebracht. Überhaupt müsse sich die Kunst über die persönlichen Neigungen und nervösen Empfindlichkeiten erheben. »Es ist an der Zeit, ihr durch eine unerbittliche Methode die Präzision der physikalischen Wissenschaften zu geben!« Das sitzt.
    Dass Flaubert sich überhaupt auf diesen Briefwechsel einlässt, liegt an der Hartnäckigkeit Marie-Sophie Leroyer de Chantepies. Nach seinem ersten kurzen, beinahe barschen Antwortschreiben sendet sie ihm ihre drei Romane zu nebst einem weiteren ausführlichen Brief, und als sie daraufhin ohne Antwort bleibt, fasst sie in einem weiteren Schreiben nach, ob etwa die Adresse falsch sei. Zudem legt sie ihr Porträt bei und klärt den zu diesem Zeitpunkt fünfunddreißigjährigen Flaubert über ihr Alter auf: Sie ist bereits fünfundfünfzig Jahre alt! Daraufhin Flaubert: »Ich danke Ihnen zunächst, dass Sie mir Ihr Alter geschrieben haben. Das gibt mir größere Freiheit. Wir werden wie von Mann zu Mann miteinander plaudern.« Bei der sehr sinnlichen, sexuell aktiven Louise Colet musste er um seine seelische Stabilität fürchten. Das hatte dazu geführt, dass er sich vor dem Ansturm der weiblichen Begierde zunehmend in seiner Schreibklause verschanzte. In der Beziehung zu dem alten Fräulein ist es ihm dagegen möglich, seinen pädagogischen Eros auszuleben, der neben dem sexuellen das zweite große Interesse ist, das er Frauen entgegenbringt. Das Vergnügen, das er beim Empfang ihrer Briefe empfinde, schreibt er nun an Mademoiselle Leroyer de Chantepie, werde aufgewogen durch den Kummer, der sich in ihnen ausbreitet. »Welch vortreffliche Seele Sie haben! Und welch trauriges Leben Sie führen! Ich glaube es zu verstehen. Und deshalb liebe ich Sie.« Er hat für sich eine neue, komfortable Rolle entdeckt: die des weisen Kummerkastenonkels, wie der Schriftsteller Julian Barnes diesen Flaubert genannt hat. So entspinnt sich ein Briefwechsel über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten, ohne dass es je zu einer leibhaftigen Begegnung der Beteiligten kommen würde.
    Marie-Sophie Leroyer de Chantepie war eine belesene, gebildete Frau, die, wie sie schreibt, Liebe und Glück, sprich einem Familienleben, entsagt hat, um eine Existenz als Schriftstellerin zu führen. Zeitlebens verlässt sie die Provinz nicht; ihr ganzes langes Leben verbringt sie in Angers, wo sie neun Jahre nach Flaubert stirbt. Noch mehr als ihr Briefpartner kultiviert sie den Selbstzweifel und erhofft sich von dem ungleich jüngeren, vitaleren und mittlerweile auch erfolgreichen Schriftstellerkollegen Rat in grundsätzlichen Lebensfragen, insbesondere denen der Religion. Der hingegen versucht sie erst einmal von ihrer, wie er findet, hysterischen Identifikation mit seiner Romanfigur zu kurieren: »Und vergleichen Sie sich nicht mit der Bovary. Sie ähneln ihr kaum! Sie war weniger wert als sie, sowohl was den Kopf als auch was das Herz betrifft; denn sie war eine etwas perverse Natur, eine Frau der falschen Poesie und der falschen Gefühle.« Immerhin fügt er hinzu, seine erste Idee sei gewesen, aus Emma »eine Jungfrau zu machen, die in der Tiefe der Provinz lebt, im Kummer alt wird und so zu den letzten Stadien des Mystizismus und der erträumten Leidenschaft gelangt«. Uncharmant, geradezu brutal zeichnet er mit wenigen Strichen ein Porträt, in dem seine Brieffreundin sich wiedererkannt haben dürfte. Nur um die Geschichte verständlicher und auch unterhaltsamer zu machen, habe er »eine menschlichere Heldin« erfunden, eine Frau, wie man sie öfter sieht. So bleibt Marie-Sophie Leroyer de Chantepie wenigstens der Trost, in den Augen ihres Ratgebers keine ganz gewöhnliche Frau zu sein.
    Alle ihre Schmerzen, so analysiert er, kämen aus einer »Übertreibung des untätigen Denkens«, man könnte auch sagen, aus einem permanenten hypochondrischen Kreisen um sich selbst. Er sei überzeugt davon, dass man krank werde, sobald man über sich selbst nachdenkt. Um sie sowohl von der Selbstbezogenheit als auch der Grübelei zu befreien, verordnet er seiner

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