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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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seelische Situation wiedererkennt. Marys Vater hatte seine verstorbene Frau in einer damals viel gelesenen Biographie in Anbetracht ihrer unglücklichen Liebesgeschichten und Suizidversuche einen »weiblichen Werther« genannt: Sie habe zu den Menschen gehört, die »mit der erlesensten und feinsten Empfindsamkeit ausgestattet sind und deren Seelen aus fast zu feinem Stoffe scheinen, um die Wechselfälle des menschlichen Lebens zu ertragen«. Es sind genau diese Gedanken, die sich die Tochter zu eigen gemacht hat und dem Geschöpf mitgibt. Frankensteins Kreatur, die zwar aussieht wie ein Monster, ist aber eigentlich ein sensibler, femininer Mensch und wird zum Unmenschen nur dadurch, dass ihr auch die elementarste Form von Anerkennung versagt bleibt.
    Polidori wie Mary, der Gestalter des Vampirs wie die Erfinderin des Frankenstein-Monsters, lassen die Welt der Romane des 18. Jahrhunderts, eine Welt der Sentimentalität und der Entsagung, hinter sich. Ihre Erfahrung dieses Sommers ist nicht in den Schimmer von Tränen, sondern in das fahle Licht von Blitzen getaucht, die kurzzeitig das Dunkel erhellen und dabei die Welt in ihrer ganzen Befremdlichkeit zeigen. Mit ihren beiden Helden überschreiten sie die damals geläufigen Grenzen der Erkenntnis und des Empfindens. Lesen, das meinte nun nicht länger vor allem Selbsterkundung und Stärkung des Selbstwertgefühls. Es bedeutete, sich dem Fremden und Unbekannten auszusetzen, das auch das Fremde und Unbekannte des eigenen Ich sein kann.
    Kurze Nachschrift
    Am 29. August 1816 reisen Shelley, Mary und die von Byron geschwängerte Claire gemeinsam mit dem kleinen William und seinem Schweizer Kindermädchen wieder nach London zurück. Die Shelleys lassen sich in Bath nieder, in der Hoffnung, Claires Schwangerschaft geheim halten zu können. Am 10. September wird der Leichnam von Shelleys Ehefrau Harriet gefunden. Sie hat sich im Serpentine, dem See im Londoner Hyde Park, ertränkt. Am 9. Oktober begeht auch Fanny Imlay, die ältere Tochter von Mary Wollstonecraft, Suizid, nachdem sie sich in verzweifelten Briefen an ihre Schwester über die familiäre Situation beklagt hat. Beide Selbstmorde werden vertuscht. Am 30. Dezember heiraten Mary Godwin und Percy Bysshe Shelley in London. Mary ist erneut schwanger. Trotz der Heirat befindet das Gericht, Shelley sei moralisch ungeeignet, seine Kinder aus der Ehe mit Harriet aufzuziehen. Sie werden einer Pfarrersfamilie anvertraut. Am 2. September 1817 bringt Mary ihr drittes Kind zur Welt, das sie wie die erste, früh verstorbene Tochter Clara nennt.
    Das Kind von Claire und Byron, erst Alba genannt, vom Vater dann in Allegra korrigiert, kommt Anfang des Jahres 1817 zur Welt. Byron, der nach dem Sommer 1816 Claire nie wiedersehen wird, holt es schließlich nach Italien, wo das Mädchen bereits im Alter von fünf Jahren in dem Kloster, in das der Vater es zur Aufzucht gesteckt hat, stirbt.
    Im März 1818 verlassen die Shelleys England und gehen nach Italien. Dort sterben die beiden gemeinsamen Kinder: Clara im September in Venedig, der knapp dreieinhalbjährige William im Juni 1819 in Rom. Mary fällt in eine Depression, aus der sie sich erst durch die Geburt ihres vierten Kindes, Percy Florence , im November 1819 wieder befreit. Nachdem er sich zuvor von Mary zunehmend entfremdet hat, ertrinkt Percy Bysshe Shelley im Sommer 1822, knapp dreißigjährig, bei einer Segeltour vor der Küste Viareggios; er war Nichtschwimmer. Mary beschließt, eine Existenz als freie Schriftstellerin zu führen.
    Im Sommer zuvor ist bereits John William Polidori im Alter von fünfundzwanzig Jahren unter nicht geklärten Umständen gestorben. Vermutlich war es Suizid. Polidori litt unter Depressionen und hatte erhebliche Spielschulden angehäuft.
    Zwei Jahre später stirbt auch Lord Byron im griechischen Mesolongi an Unterkühlung. Seit Anfang 1823 kämpfte er an der Seite der Griechen für deren Unabhängigkeit.
    Mary Shelley wird dreiundfünfzig Jahre alt und kann noch erleben, wie sich Percy Florence, das einzige ihr verbliebene Kind, glücklich verheiratet. Am 1. Februar 1851 stirbt sie in London an einem Gehirntumor.
    Von den Sommergästen des Jahres 1816 ist Claire die Einzige, der ein auch nach unseren heutigen Maßstäben langes Leben vergönnt ist. Sie stirbt im März 1879 fast einundachtzigjährig in Florenz. Als alte Frau schreibt sie in einer Mischung aus Ernüchterung und anhaltender Verbitterung, »dass eine Frau ohne Rang, ohne Reichtum,

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