Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
ohne männliche Verwandte, die sie beschützen, von Männern als etwas angesehen wird, das nur dazu da ist, auf ihren Gefühlen und ihren Rechten herumzutrampeln«. Das sei die Lektion, die sie von Shelley wie von Byron gelernt habe.
Gustave Courbet, »Die Amazone«, 1856, © The Metropolitan Museum of Art/bpk
»Diese Frau ist wirklich groß«, urteilte Charles Baudelaire über Gustave Flauberts Romanheldin, die Ehebrecherin Emma Bovary. Dabei ist sie alles in allem eine recht gewöhnliche Frau aus der Provinz und in der Provinz, die erst über sich hinauswächst, als schon alles verloren ist. Doch sie ist schön, impulsiv, gierig nach Leben und sehr sinnlich. Und sie ist besessen davon, aus ihrem Leben einen jener Liebesromane zu machen, die sie seit ihren Mädchentagen verschlungen hat.
8
Rouen, 1857
Die Liebende aller Romane:
Madame Bovary
Kurz vor Weihnachten des Jahres 1856 erhält Gustave Flaubert den Brief einer ihm unbekannten Dame aus Angers, die sich als Autorin dreier Romane vorstellt, von denen er bislang noch nie gehört hat. Der fünfunddreißigjährige Flaubert hat keine allzu hohe Meinung von Frauenliteratur; er hält sie schlichtweg für sentimental. Die elf Jahre ältere Louise Colet, seine Exgeliebte, konfrontiert er immer wieder mit seiner Ansicht. Die romantisierende Literatin, Autorin von überschwänglichen Versen, von Unterhaltungsromanen und Biographien, zweifache Preisträgerin der Académie Française und neben George Sand die bekannteste Erscheinung der Pariser Salons, ermahnt er: »In Gedichten muss man nicht träumen, sondern Faustschläge austeilen.« Und: »Man schreibt nicht mit seinem Herzen, sondern mit seinem Kopf.«
Vor wenigen Tagen ist in der Revue de Paris der letzte Teil eines Vorabdrucks von Madame Bovary. Sitten der Provinz erschienen. Flaubert hat fünf Jahre lang an seinem ersten Roman und seiner ersten Veröffentlichung überhaupt gearbeitet, laut Selbstaussage »wie ein Mann, der mit Bleikugeln auf jedem Fingerglied Klavier spielt«.
Marie-Sophie Leroyer de Chantepie, so der Name der Briefschreiberin, entpuppt sich nicht nur als Abonnentin der Revue de Paris , sondern auch als leidenschaftliche Leserin seines »von Wahrheit so durchdrungenen Dramas«, wie sie schreibt. »Ja, das sind in der Tat die Sitten dieser Provinz, in der ich geboren wurde und mein Leben verbracht habe.« Wie sehr sie das Elend dieser armen Frau Bovary verstanden habe. Das sei in keiner Weise Fiktion, »diese Frau hat existiert, und Sie müssen ihr in ihrem Leben, ihrem Tod und ihren Leiden beigestanden haben«. Sie habe sich mit ihr bis zu dem Punkt identifiziert, dass sie den Eindruck hatte, Emma zu sein und umgekehrt. Sie lese seit nun dreißig Jahren alles, was ihr an literarischer Produktion bekannt werde. Kein Buch aber habe einen derart tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen.
Ich habe genug gelitten in meinem Leben, um nicht bei der ersten Gelegenheit loszuheulen, und wenn dann nur in extremen Situationen. Und doch, seit gestern weine ich unaufhörlich über diese arme Frau Bovary, in der Nacht habe ich kein Auge zugetan, ich habe sie immerzu gesehen und konnte mich nicht trösten, noch war ich in der Lage, mich von der gewaltigen Erschütterung zu erholen, die dieses Drama bei mir ausgelöst hat.
Kein Autor habe ihr jemals so zugesetzt, und das sei doch das schönste Lob, das sie ihm machen könne. Verzweiflung und eine Warnung seien die Moral von der Geschichte: »Die Frauen müssen halt ihren Pflichten nachkommen, wie schwer ihnen das auch fallen mag. Aber es ist doch so natürlich, sein Glück zu suchen! Gott selbst wünscht das Glück seiner Geschöpfe, einzig die Menschen widersetzen sich seinem Willen.« Im Brief der Leserin steht »hommes«, was auch die folgende Lesart erlaubt: »Einzig die Männer handeln dem göttlichen Willen entgegen.«
Die Lektüre des Briefes verbessert Flauberts in diesen Tagen sowieso schlechte Laune keineswegs. Entgegen allen Absprachen haben die Herausgeber der Revue de Paris aus Angst vor dem Staatsanwalt doch Streichungen an seinem Manuskript vorgenommen und ihn erst nachträglich davon in Kenntnis gesetzt. Zudem wird eine Anklage gegen das Buch wegen »Verstoßes gegen die öffentliche und religiöse Moral sowie gegen die Sittlichkeit« immer wahrscheinlicher. Die in seinen Augen nur schwer erträgliche Gemengelage aus enthusiastischer Identifikation, Selbstanklage und religiöser Schwärmerei der Briefschreiberin ist ihm nur zu gut bekannt,
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