Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Behandlung erforderlich macht. Dass seine Schwester sich in der Zwischenzeit entschieden hat, die Ehe mit einem Grafen von Marsden einzugehen, erfährt er erst am Tag vor der Hochzeit. Er öffnet das Medaillon, das sie auf der Brust trägt, und erblickt erneut – Ruthven. Die Hochzeit kann er nicht mehr verhindern, im Anschluss daran sind Braut und Bräutigam wie vom Erdboden verschluckt: »Aubreys Schwester hatte den Durst eines Vampirs gestillt.«
Der tatsächliche Verfasser dieser Geschichte ist John William Polidori. Wie dieser selbst berichtet, hat er sie an »zwei oder drei müßigen Vormittagen« geschrieben, auf Bitten einer Dame aus der Genfer Gesellschaft und wohl noch während seiner Zeit als Byrons Reisearzt. Obwohl er am besagten Abend nicht in der Villa Diodati weilte, hat er von Byrons Fragment natürlich Kenntnis genommen, dessen Einfluss auf seine Erzählung auf der Hand liegt. Trotzdem handelt es sich keineswegs bloß um ein literarisches Plagiat. Welchen Weg Polidoris Text zu dem Londoner Verleger Henry Colburn genommen hat, ist bis heute nicht bekannt. Als Byron von der Sache erfährt, ist er jedenfalls alles andere als amused . Wie aller Welt starrt auch ihm in Lord Ruthven unverkennbar ein Porträt der eigenen Person entgegen – Pollydollys Rache, der seinen hochmütigen Exchef als Vampir vorführt. Allein schon aus diesem Grund möchte Byron mit dem Machwerk nicht in Verbindung gebracht werden. Zudem hat er den Eindruck, Polidori, der sich bald als der eigentliche Verfasser zu erkennen gibt, betätige sich hier als Blutsauger sowohl an seinen Einfällen als auch an seinem literarischen Ruhm. Nur deshalb veröffentlicht er jetzt sein eigenes Fragment aus dem Sommer 1816. Doch die Verwechslung ist so schnell nicht mehr aus der Welt zu schaffen, auch weil der geschäftstüchtige Verleger an ihrer absatzfördernden Wirkung festhält. Der dauerhafte Ruhm, dessentwegen der Doktor Dichter sein wollte, stellt sich so ein und bleibt ihm gleichzeitig verwehrt. Letztlich: armer Polidori.
Bleibt Mary. Jeden Morgen von ihren Mitstreitern befragt, ob sie sich denn nun eine Geschichte ausgedacht habe, muss sie »mit einem sterbenselenden Nein« antworten. Doch dieser Zustand hält nicht lange an. Als die Unwetter derart zunehmen, dass »Shelley und so weiter«, wie Polidori in seinem Tagebuch die drei aus dem Cottage stets nennt, auf das Angebot zurückgreifen, in der Villa zu nächtigen, wird Mary Zeugin eines Gesprächs, bei dem auch der Doktor einmal glänzen kann. Es dreht sich um nichts Geringeres als das Wesen des Lebens. Man erwähnt Experimente wie das mit einer Fadennudel, die durch Stromstöße dazu gebracht wird, sich scheinbar selbstständig zu bewegen. Natürlich, so ist man sich einig, könne Leben auf diesem Wege nicht geschaffen werden. Doch ein Leichnam ließe sich so vielleicht wiederbeleben. Auch könne man womöglich ein Lebewesen aus den passenden Einzelteilen zusammensetzen und ihm dann die Hitze des Lebens zuführen.
Die Erforschung der Elektrizität, seit Mitte des 18. Jahrhunderts hoch in Mode, hatte Anlass zu vielfachen Spekulationen über den Ursprung des Lebens gegeben. Noch stärker als durch die den wenigsten bekannten Forschungen Benjamin Franklins, Luigi Galvanis und Alessandro Voltas wurden sie durch wissenschaftliche Schausteller genährt, die man seinerzeit »Elektrisierer« nannte und die sich großer Popularität erfreuten. Sie kurbelten an den Rädern ihrer Elektrisiermaschinen und schickten Stromschläge durch die Hände einer Menschenkette. Sie hängten einen Menschen so auf, dass er nicht geerdet war, und brachten seinen Kopf zum Glimmen. Eine junge Frau aus dem Publikum erhielt eine elektrische Ladung und elektrifizierte sodann ihren Begleiter mit einem unvergesslichen Kuss. Der Elektrizität schien jene magische Kraft innezuwohnen, die die Gespenstergeschichten beschworen, die sich deren Verfasser aber nicht erklären konnten, weshalb sie sie überirdischen Einflüssen zuschrieben. Warum sollte die Elektrizität, von deren Wirkungsmacht man so viele Beweise hatte, nicht auch tote Materie zum Leben erwecken können?
Weiteren Aufschluss darüber erhoffte man sich von der Erforschung des Elektromagnetismus. Der Parapsychologe Franz Anton Mesmer propagierte den tierischen Magnetismus als entscheidende Lebenskraft, die den Körper durchflutet und Nerven und Muskeln steuert, und leitete daraus eine allumfassende Behandlungsmethode ab. Seine letztlich unhaltbare
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