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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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Interpreten zu denken geben, die dazu neigen, Emma als »eine schlechte Leserin« (Vladimir Nabokov) abzuqualifizieren, und ihr den Kopf zurechtrücken wollen.
    Doch Flauberts Roman geht in der Analyse des Zusammenhangs von Lesen und Leben noch einen Schritt weiter: Unmittelbar nachdem man ihr die Bücherquellen verstopft hat, begeht Emma zum ersten Mal Ehebruch. Zwar sagt der Roman nicht ausdrücklich, dass dieser Schritt damit zu tun hat, dass sie durch die schwiegermütterliche Maßnahme um ihre Ersatzbefriedigung gebracht ist. Doch erinnert Emma sich nach ihrem ersten außerehelichen Geschlechtsverkehr an die »Heldinnen all der gelesenen Bücher, und die holde Schar dieser Ehebrecherinnen sang in ihrer Erinnerung mit schwesterlichen Stimmen, die sie verzauberten. Sie selbst wurde gleichsam ein Teil dieser Phantasien und verwirklichte die endlose Träumerei ihrer Jugend, denn sie erkannte sich in jenem Bild der liebenden Frau, die sie endlos beneidet hatte«. Anders und sehr viel prosaischer gesagt: Die Affäre führt dazu, dass Emma sich die Romanlektüre sparen kann, weil sie selbst Teil eines Romans wird. Hier werden nicht nur die Bücher Wirklichkeit, hier stellt sich die Leserin auch vor, dass sie durch ihren Ehebruch Bestandteil der Romanwelt wird. Das lag durchaus nahe: Die Wendung »einen Roman anfangen« meinte seinerzeit soviel wie ein Liebesabenteuer anknüpfen: Wer ein Verhältnis abseits der ausgetretenen Pfade der Ehe suchte, handelte nach Art der Romane.
    Dass es sich bei dieser Verbindung von Leselust und Ehebruch nicht um eine private Obsession Flauberts handelt, vielmehr um ein Zeitsymptom, zu dem sich sein Roman kritisch verhält, mögen zwei Beispiele aus der bildenden Kunst belegen. Beide Gemälde sind in zeitlicher Nachbarschaft zu Madame Bovary entstanden. 1858 zeigt uns der viktorianische Maler Augustus Leopold Egg, wie die Romanlektüre Unglück über die Familien bringt. Im Vordergrund seines Bildes »Vergangenheit und Gegenwart« – dem Mittelstück eines Triptychons – ist eine Frau und Mutter zu sehen, die sich auf den Boden niedergeworfen hat. Der hinter ihr mit versteinertem Blick am Tisch sitzende Ehemann hält das corpus delicti in der Hand, einen Liebesbrief. Mit seinem linken Fuß trampelt er auf einem Miniaturporträt des Geliebten seiner Frau herum. Weiter im Hintergrund blicken die beiden Töchter des Paars erschrocken auf; gerade haben sie ein Kartenhaus auf einem Buch errichtet. Auf dessen Einband ist deutlich sichtbar der Name »Balzac« zu lesen. Verderben hat die Familie heimgesucht, und der Name des Verderbers lautet »französischer Roman«, der nicht nur im viktorianischen England dafür bekannt war, die Sinne der Frauen zu verwirren und in ihnen bislang unterdrückte Begierden wachzurufen. Nicht umsonst liegt neben der Frau ein halbierter Apfel: Hier ist ein Sündenfall geschehen. Verführer war das Buch, und der’s geschrieben.

    August Leopold Egg, »Vergangenheit und Gegenwart«, 1858,
© United Archives/picture-alliance
    August Leopold Egg, »Vergangenheit und Gegenwart«, 1858.
    Die weibliche Verführbarkeit war eine der großen Passionen des 19. Jahrhunderts. Während im Jahrhundert zuvor Romane die Empfindsamkeit der Frau als ihre Stärke gepriesen, ja, sie sogar zum kulturstiftenden Faktor erklärt hatten, rückte in der Folge stärker die Schwäche eines Verhaltens in den Blick, das sich ganz auf Herzensäußerungen und Seelenregungen verlässt: Wird die Frau nicht allzu leicht Opfer überwältigender Eindrücke oder von Manipulation? Viele sahen sie in permanenter Gefahr schweben, aufgrund verderblicher äußerer Einflüsse und innerer Zuchtlosigkeit den berühmt-berüchtigten Schritt vom Wege zu tun. Die Lektüre insbesondere von Liebesromanen war dabei schnell als Einfallstor der diabolischen Mächte ausgemacht.
    Der oftmals die Grenzen des guten Geschmacks überschreitende und für seine Skurrilitäten bekannte belgische Maler Antoine Wiertz schuf 1853 ein Gemälde, das eine junge Frau zeigt, die splitterfasernackt auf einem Bett liegt und einen Roman liest, den sie mit der linken Hand über ihr Gesicht hält. Während der an der Wand rechts vom Bett angebrachte große Spiegel ihr Geschlecht enthüllt, das dem Betrachter durch die angewinkelten Beine der Frau ansonsten verborgen geblieben wäre, legt ein am linken Bettrand kauernder Teufel, von dem nur die Hand und eine Gesichtshälfte mit dem obligaten Horn zu sehen sind, immer neue Romane auf das

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