Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
schlichtweg nicht die Rede sein. Das blieb auch so, als die Frau bei Mary Wollstonecraft und später bei Jane Austen mehr und mehr ihre Rechte innerhalb der Liebesbeziehung geltend machte. Balzacs Die Frau von dreißig Jahren, von Flaubert dafür gefeiert, war ein erster, noch zaghafter Schritt in Richtung Entdeckung und sprachlicher Imagination der weiblichen Sexualität. Flaubert geht darin viel weiter. Emma heiratet Charles, weil sie glaubt, Liebe für ihn zu empfinden. Da jedoch das Glück, das aus der Liebe folgen müsste, sich nicht einstellt, muss sie sich wohl getäuscht haben, denkt sie. Aus ihrer Perspektive völlig folgerichtig versucht sie herauszufinden, »was man im Leben eigentlich verstand unter den Worten Seligkeit, Leidenschaft und Rausch, die ihr so schön erschienen waren in den Büchern«. Und sie findet es auch heraus, wenn nicht bereits in dem Verhältnis mit dem Grundbesitzer und Lebemann Rodolphe, so doch in dem Hotelzimmer, in dem sie sich später regelmäßig mit dem Kanzlisten Léon trifft, der wie sie eine Passion für Romane hat:
Wie sehr liebten sie dieses wohlige Zimmer mit all seiner Fröhlichkeit, war sein Glanz auch ein wenig verblasst. Sie fanden die Möbel stets am gewohnten Platz und manchmal auch Haarnadeln, die sie am letzten Donnerstag vergessen hatte, unterm Fuß der Pendeluhr. Sie aßen vor dem Kamin, an einem runden, mit Palisandereinlagen verzierten Tischchen. Emma schnitt Stücke, legte sie ihm auf den Teller und sagte dabei allerhand Schmeicheleien; und sie lachte schallend und zügellos, wenn der Champagnerschaum über den Rand des hauchfeinen Glases auf ihre beringten Finger perlte. Sie waren so vollkommen versunken ins wechselseitige Besitzen, dass sie meinten, in ihrem eigenen Haus zu sein und hier leben zu dürfen bis zum Tod, wie ewig junge Eheleute.
Auch dieses Glück wird sich letztlich als Illusion erweisen, jedenfalls keine Dauer haben. Flauberts Heldin bezahlt ihre Suche nach Glück und Erfüllung in der körperlichen Liebe mit dem Tod. Sie wird am Ende wieder von dem Ennui eingeholt, dem sie immer entfliehen wollte, erst durch Lektüre, später dadurch, dass sie den Stoff der Romane zu dem ihres Lebens machte. Die »Liebende aller Romane, die Heldin aller Dramen, das unbestimmte Du aller Gedichtbände« nennt sie ihr Liebhaber Léon. Doch der Tod von eigener Hand setzt Emmas Suche nach » Seligkeit, Leidenschaft und Rausch « nicht nachträglich ins Unrecht. Wie bereits der kaiserliche Staatsanwalt im Prozess gegen Flauberts Roman völlig richtig bemerkte, stirbt Emma Bovary keineswegs, weil sie Ehebruch begangen hat und ihr Autor der Meinung wäre, sie habe für ihr Vergehen Sühne zu tun: »Sie stirbt im vollen Glanze ihrer Jugend und Schönheit; sie stirbt, nachdem sie zwei Liebhaber gehabt hat, einen Ehemann zurücklassend, der sie liebt, der sie anbetet, der Rodolphes Porträt finden wird, seine Briefe finden wird und die von Léon, der die Briefe einer zweifachen Ehebrecherin lesen wird und der sie danach noch mehr lieben wird, übers Grab hinaus.« Wer könne diese Frau im Buch verurteilen, fragt der Staatsanwalt auf dem Höhepunkt seines Plädoyers. Und auch hier ist seine Antwort völlig korrekt: »Niemand.« Er habe alle Mühe darauf verwandt, im Buch eine Figur zu finden, die dieser Frau überlegen wäre und ihr Verhalten relativieren würde. »Es gibt keine. Die einzige überlegene Frau ist Madame Bovary.«
In Madame Bovary verdichten sich auf ähnliche Weise wie ein gutes Jahrhundert zuvor in Pamela die Tendenzen einer ganzen Epoche. Bereits im Titel der beiden Werke zeigt sich dabei ein charakteristischer Unterschied: Wiewohl beide nach ihrer Heldin benannt sind, hat Flaubert nicht den Vornamen seiner Protagonistin gewählt. Die Anrede Madame bringt die Distanz zum Ausdruck, die der Autor zu seiner Figur einnimmt. Bovary schließlich ist der Nachname des Mannes, den Emma, geborene Rouault, heiratet und der sie nicht glücklich macht, weil sie bei ihm weder sexuelle Befriedigung erfährt, noch er in der Lage ist, ihren seelischen und geistigen Ambitionen zu entsprechen.
Emma Bovary scheitert letztlich nicht daran, dass sie die falschen Bücher liest, auch liest sie diese keineswegs falsch. Die Lektüre hat ihr einen ungefähren Begriff davon verschafft, dass die enge Welt der Provinz, in der sie sich einzurichten hat, nicht der Maßstab sein kann für das Leben, das sie führen möchte. Ihre Versuche, dieser Enge zu entkommen, sind in der
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