Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Brieffreundin, was man eine Bibliotherapie nennen könnte: »Lesen Sie viel! Machen Sie sich einen Studienplan, der anspruchsvoll ist und den Sie einhalten.« Er empfiehlt ihr die Lektüre der großen Meister der antiken und klassischen Literatur: »Sie werden aus diesem Studium so geblendet hervorgehen, dass Sie dadurch fröhlich werden.« Schon Louise Colet hat er nahegelegt, »jeden Tag einen Klassiker zu lesen. Du liest nicht genug«. Wenn er ihr das unaufhörlich predige, so weil er glaube, dass das eine »heilsame Hygiene« sei. Die Begründung, die er im Brief an Marie-Sophie Leroyer de Chantepie dafür findet, ist dann aber wieder typisch Flaubert, weit entfernt von den konkreten Fragen und Problemen des alten Fräuleins. »Das Leben ist eine so hässliche Angelegenheit, dass das einzige Mittel, es zu ertragen, darin besteht, ihm aus dem Weg zu gehen. Und man geht ihm aus dem Weg, indem man in der Kunst lebt, in der unaufhörlichen Suche nach dem Wahren, das durch das Schöne wiedergegeben wird.«
Auf ihre Nachfrage, welche Bücher er denn konkret meine, kommt Michel de Montaigne ins Spiel. Dessen Essais , in drei Bänden zwischen 1580 und 1588 erschienen, ein einzigartiges Zeugnis skeptisch-gelassener Selbst- und Weltbetrachtung, sind eine der Lieblingslektüren des jugendlichen Gustave Flaubert gewesen.
Lesen Sie Montaigne, lesen Sie ihn langsam, bedächtig! Er wird Sie ruhiger machen … Sie werden ihn gern haben, bestimmt. Doch lesen Sie nicht wie die Kinder lesen, um sich zu vergnügen, noch wie die Ehrgeizigen, um sich zu bilden. Nein, lesen Sie, um zu leben . Schaffen Sie für Ihre Seele eine intellektuelle Atmosphäre …
Da ist es wieder, das Lebensverhältnis zum Lesen, das sich als so entscheidend für die Anfänge des weiblichen Lesens erwies. Flaubert ist weit davon entfernt, mit seinem Rat eine Aussage darüber machen zu wollen, was das Lesen der Frauen womöglich von dem der Männer unterscheidet. Das zeigen schon seine Lektüreempfehlungen, die eher einem männlichen Kanon von Büchern der Lebenserfahrung und Selbsterkenntnis verpflichtet sind; ein zeitgenössischer oder wenigstens moderner Roman ist nicht darunter. Intuitiv aber erfasst er, was das Spezifische einer weiblichen Tradition des Lesens sein könnte, wie sie sich bis heute fortschreibt. Es ist weder ein gelehrtes Lesen, wie es zuerst die Mönche und die Akademiker betrieben haben, noch ein rein lustbetontes Lesen, wie es den Frauen seitens der Männer immer wieder unterstellt worden ist. Es ist ein Lesen, das Aufschluss gibt über jene Frage, die für Montaigne zentral war: »Wie soll ich leben?«
Doch wie liest man, um zu leben? Flaubert in seinem belehrenden Brief an Marie-Sophie empfiehlt, das Lesen nach Art des Reisens zu betrachten. Reisen ist Aufbruch, Verlassen des Vertrauten, Erfahrung des Unbekannten, Anreiz zur eigenen Veränderung. Schlussendlich mag auch der reisende Leser wieder bei sich selbst anlangen, erst einmal aber löst er sich von der eigenen Person und schließt Bekanntschaft mit einer ihm bislang fremden Welt. »Wenn Sie ein Mann und zwanzig Jahre alt wären, würde ich Ihnen vorschlagen, eine Reise um die Welt zu machen. Nun gut! Machen Sie diese Reise um die Welt in Ihrem Zimmer!« Wenn Alter und andere Voraussetzungen – etwa die aufs Haus beschränkte Lebensweise einer Frau in der französischen Provinz des 19. Jahrhunderts – es nicht zulassen, aus dem Zimmer in die Welt hinauszugehen, denkt Flaubert, dann muss man halt dafür sorgen, dass die Welt ins Zimmer gelangt. Und was eignete sich zu seiner Zeit dafür besser als Bücher, so wie heute auch Filme und » Reisen« durch das World Wide Web diesen Zweck erfüllen können.
Emma Bovary, um auf jene »arme Frau« zurückzukommen, die den Briefwechsel des Autors mit seiner Leserin erst initiiert hat – Emma Bovary, so erfährt der Leser im berühmten sechsten Kapitel von Flauberts Roman, ist ebenfalls eine leidenschaftliche Leserin. Doch welch ein Unterschied zu jenem Lesertyp, den Flaubert in seinen Briefen an Mademoiselle Leroyer de Chantepie entwirft. Wie eine ganze Reihe anderer unglücklicher und unverstandener Romanheldinnen des 19. Jahrhunderts verlebt Emma die Zeit ihrer Pubertät als Klosterschülerin. Dort gibt es, auch das kein Einzelfall, eine alte Jungfer, die einer adligen, durch die Revolution ruinierten Familie angehört. Sinnigerweise sorgt sie nicht nur für die Wäsche der Mädchen, sondern auch für deren Lektüre, indem sie
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