Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
ältesten der drei schreibenden Pfarrerstöchter aus Yorkshire, zum Leseprogramm der beiden Damen gehörte. Jane Eyre , benannt nach der Romanheldin, erzählt so sensibel wie melodramatisch den kuriosen Werdegang eines früh verwaisten Mädchens, das als Kind schikaniert, zuerst Schülerin, dann Lehrerin in einer Waisenhausschule, später Hauslehrerin auf einem Landsitz wird. Dort verliebt sich Edward Rochester, der düstere Hausherr, in sie. Damit es zum Happy End, in diesem Fall einer rechtmäßigen Heirat, kommen kann, muss allerdings noch das Problem mit der ersten Gattin Rochesters gelöst werden, die als mad woman in the attic in die Literaturgeschichte eingegangen ist: Die verrückt gewordene, tobsüchtige Frau haust auf dem Dachboden des Schlosses, das sie schließlich in Brand steckt. Sie selbst stürzt bei der Feuersbrunst vom Dach, während Rochester schwer verwundet wird und erblindet. Jane, zwischenzeitlich geflüchtet, kehrt zurück und nimmt den Krüppel zum Mann. So zusammengefasst, wirkt die Handlung des Romans reichlich absurd; es macht indessen seine Qualität aus, dass den Leser das bis heute nicht stört – so überzeugend in ihrer Aufrichtigkeit und Selbstachtung ist Charlotte Brontë der Charakter der Jane Eyre gelungen. Sie ist durchaus kein passives Aschenbrödel, das vom Prinzen erhört wird; zum Schluss ist sie dem hilflosen Mann überlegen. Trotzdem ist es, wie wir noch sehen werden, das Aschenbrödelmotiv, dem das besondere Interesse unserer Vorleserin gegolten haben dürfte.
Zu den Büchern, die Juno der Fürstin mit großer Sicherheit vorgelesen hat, gehört auch Problematische Naturen , der über tausend Seiten umfassende Roman des ehemaligen Lehrers Friedrich Spielhagen, 1861 erschienen und im Jahr darauf unter dem Titel Durch Nacht zum Licht in ähnlicher Länge fortgesetzt. Spielhagens Erstling machte ihn über Nacht bei den Liebhabern anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur berühmt. Er gehört zu einer ganzen Reihe von in diesen Jahrzehnten erschienenen deutschen Romanen, die sich mit dem gespannten Verhältnis von Adel und Bürgertum auseinandersetzen und dabei für die bürgerlichen Ideale und Interessen Partei ergreifen. Wie auch die folgenden Romane Spielhagens überzeugt Problematische Naturen vor allem durch seinen schwungvollen Beginn: Eine Stelle als Hauslehrer führt den jungen Intellektuellen Dr. Oswald Stein auf das Schloss des Barons von Grenwitz auf der Insel Rügen. Dort kommt er mitten in der Nacht an; der starke Wind hat das Fährboot aufgehalten. Der Baron begleitet ihn durch den Vorsaal in ein hohes, schönes Zimmer. Als er eintritt, erheben sich »zwei Damen, die an dem Tisch vor dem Sofa, wie es schien, mit Lesen beschäftigt gewesen waren«. Die ältere der beiden, eine hochgewachsene, schlanke Frau von vierzig Jahren, wird ihm als die Frau Baronin vorgestellt; die jüngere, von zierlicher Gestalt, »mit einem etwas scharfen, echt französischen, von langen Locken eingerahmten Gesicht«, wird vom Baron hingegen übergangen. Der junge Doktor, dessen rebellische Ansichten der Leser noch zur Genüge kennenlernen wird, verbeugt sich dennoch (oder gerade deswegen) auch vor ihr. Später, als ihr aufgetragen wird, nach den Dienern zu klingeln, springt er vor ihr auf und betätigt den Klingelzug. Während Konversation gemacht wurde, hat sie unbeweglich dagesessen mit dem Buch in der Hand und keinmal die Augen aufgeschlagen. Es ist die Vorleserin der Baronin …
Bücher und Lesen sind Leitmotive in Spielhagens heute weitgehend vergessenem Roman, weshalb wir noch etwas bei ihm verweilen wollen. An einem der folgenden Sonntage sitzt der neue Hauslehrer in der halb leeren Dorfkirche von Faschwitz, lauscht einer mit Klugheit prunkenden Predigt und sieht sich daraufhin noch genötigt, an der Mittagstafel des Pfarrers und seiner Frau Gustava teilzunehmen. Nach Tisch wird der Kaffee auf Wunsch der Pastorin in der Gartenlaube serviert. Geschützte Freisitze, die die Intimität des Hauses mit den Vorzügen frischer Luft verbanden, erfreuten sich damals so großer Beliebtheit, dass sogar eine seit 1853 erscheinende Familienzeitschrift sich nach ihnen benannte: Die Gartenlaube . Als der Gast im dort abgestellten Arbeitskörbchen zwischen anderen Dingen »ein zierliches Büchelchen« in schwarzem Einband mit Goldschnitt entdeckt, schwant ihm Schlimmes. Wie sich bald herausstellt, ist Gustava in der Tat unter dem Pseudonym Primula eine der eifrigsten Mitarbeiterinnen einer
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