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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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Ihr Schicksal ist ein wenig klischeehaft gezeichnet, aber nicht untypisch für die Zeit. Der Vater, ein Militär, stirbt, als die Tochter zwölf ist. Die Mutter lebt seitdem in der Provinz und bessert ihre magere Pension mit dem Bemalen von Fächern auf, um dem einzigen Kind die Ausbildung eines höheren Mädchens zukommen zu lassen. Irgendwann stirbt auch sie, und ihre Tochter bleibt mittellos zurück. Die Leiterin des Pensionats, das sie aufnimmt, eine Oberin der Schwestern der Heimsuchung, sucht seitdem eine passende Anstellung für sie. Endlich wird sie fündig: Madame Vanzade ist beinahe erblindet und möchte eine junge Frau dafür bezahlen, dass sie ihr durch Vorlesen die Langeweile vertreibt …
    Auch die Vorleserin, von der hier berichtet werden soll, hatte ursprünglich eine andere Laufbahn eingeschlagen. Eugenie John, 1825 im thüringischen Arnstadt geboren, war das zweite Kind von Ernst John und seiner Ehefrau Johanna Böhm. Beide stammten aus Kaufmannsfamilien, aber wirklich vermögend waren nur die Böhms. Ernst John hatte den Kaufmannsberuf widerwillig ergriffen, weil sein Vater darauf bestanden hatte. Nun betrieb er eine Leihbibliothek, in der er selbst sein bester Kunde war. Was führte und was las er wohl für Bücher? Man mag sich an Heinrich von Kleist erinnern, der fünfundzwanzig Jahre zuvor eine ähnliche Einrichtung in der Residenzstadt Würzburg aufgesucht hatte und Schiller, Goethe und Wieland haben wollte. »Die möchten hier schwerlich zu finden sein«, kam die Antwort vom Bibliothekar. Kleist gab sich verwundert: Seien denn alle Werke dieser Geistesgrößen verliehen? Von wegen: Derartiges führe man gar nicht, weil es der Würzburger nicht lesen mag. Was der denn dann lese? Der Bibliothekar deutete in die Regale: »Rittergeschichten, lauter Rittergeschichten, rechts die Rittergeschichten mit Gespenstern, links ohne Gespenster, nach Belieben.«
    Ganz so einseitig wird Ernst John seine Bücherei nicht bestückt haben. Immerhin war er ein vielseitig interessierter, belesener Mann, wenn auch völlig unbegabt fürs Geschäft – Eugenie ist noch ein Kleinkind, als er in Konkurs geht. Wir dürfen annehmen, dass nicht der gesamte Bestand der Bücherei makuliert oder verramscht wurde, sondern zumindest die Lieblingsbücher Eingang fanden in den Familienhaushalt. Der war allerdings schon bald nicht mehr in dem großzügigen Bürgerhaus am Markt untergebracht, sondern in einem spärlich möblierten und schwer zu heizenden kleinen Gartenhaus. Der sozial geächtete Vater versuchte derweil, aus einem Hobby einen Brotberuf zu machen, und ließ sich in Dresden als Kunstmaler ausbilden. Zurück in Arnstadt, hielt er die Familie über Wasser, indem er Porträts und Ladenschilder anfertigte. Sehr einträglich war das nicht; die Mutter, die vom Elternhaus her Besseres gewohnt war, schwieg und litt. Die Atmosphäre verschämter Armut, in der Eugenie aufwuchs, führte bei ihr zu dem lebenslangen Gefühl, ihrer Familie etwas schuldig zu sein; als lastete auf ihr, der zweitgeborenen Tochter, der Druck, sie aus der Misere herauszuführen.
    Ein Grund dafür mag die gefühlte und von anderen bestätigte Ähnlichkeit mit dem Vater gewesen sein. Auch Eugenie war vielseitig künstlerisch begabt, doch ihr Hauptaugenmerk galt nicht der Malerei, sondern der Musik. Schon als Achtjährige wirkte sie im Gesangsverein mit. Ihr Musiklehrer soll ihr Talent mit den Worten gerühmt haben: »Sie hat Millionen in der Kehle.« Eugenie John musste über vierzig werden, um herauszubekommen, dass er nur halb richtig lag. Millionen schon, aber die flossen nicht aus der Kehle, sondern aus dem Füller, mit dem sie Buchstaben, Wörter und Sätze aufs Papier warf.
    Vorderhand jedoch wandte sich der Vater an die Landesfürstin Mathilde von Schwarzburg-Sondershausen, seit 1835 die zweite Frau von Günther Friedrich Karl II. von Schwarzburg-Sondershausen. Sie brachte neuen Schwung und innovative Ideen in den Kleinstaat, verfolgte den Plan, die Residenzstadt zu einem kulturellen Zentrum auszubauen. Der Hof quittierte das mit Skepsis, ja, mit Feindseligkeit. Der Fürst reagierte erst mit Ignoranz, dann mit zunehmendem Missbehagen: Die Prätentionen seiner Gemahlin verschlangen ihm schlicht zu viel Geld. 1841 aber konnte sie noch aus dem Vollen schöpfen. Nachdem eine Prüfung das Talent Eugenies bestätigt hatte, holte sie die Sechzehnjährige nach Sondershausen und ließ sie auf Kosten des Hofes drei Jahre lang musikalisch ausbilden. Dazu

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