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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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literarischen Zeitschrift und lässt sich die Gelegenheit nicht nehmen, dem jungen Herrn Doktor ihre Gedichte vorzulesen. Sie tragen Titel wie »Auf einen toten Maulwurf, den ich am Wege fand« oder »An einen Maikäfer, der auf dem Rücken lag«, und das Gereimte hält exakt, was derlei Überschriften versprechen; es ist »die Grenze des Erreichbaren«, wie der Doktor mit einer Ironie sagt, die weder von der Möchtegern-Poetin noch von ihrem Mann verstanden wird.
    Keine Frage: Spielhagen macht sich hier über die unfreiwillig komischen Versuche von bürgerlichen Frauen lustig, an den »Sphären höherer Bildung« teilzuhaben. Eugenie John kannte das Phänomen, aber sie bewertete es anders: Einer Menschenseele die »Berechtigung des Aufwärtsstrebens« abzusprechen, so formuliert sie später, sei »ungerecht und strafbar«.
    Am Nachmittag dann erreicht Oswald sein eigentliches Ziel: das Gut einer Melitta von Berkow, die noch am selben Tag seine Geliebte werden wird (sie ist verheiratet, in diesem Fall ist es der Gatte, der verrückt geworden ist). Auch hier dreht sich die Unterredung um ein Buch, das die Hausherrin gerade liest: Die Geheimnisse von Paris von Eugène Sue, der erfolgreichste Unterhaltungsroman seiner Zeit, im französischen Original zwischen dem 19. Juni 1842 und dem 15. Oktober 1843 in der Pariser Tageszeitung Le Journal des Débats erschienen. In locker gereihten Episoden führt das Buch durch das adlige, insbesondere aber das Unterschichten- und Kriminellen-Milieu der Stadt. Alter ego des Autors und Identifikationsfigur für den Leser ist ein Graf von Gérolstein, der sich als Rodolphe inkognito unter das Volk begibt und rettend und rächend als eine Art Superman avant la lettre auftritt. Ganz Paris verschlang damals Morgen für Morgen die Nachrichten aus der Pariser Unterwelt, die Eugène Sue in die vertrauten Muster des Abenteuerromans eingebettet hatte. Laut des Schriftstellers Théophile Gautier schoben sogar Todkranke das Sterben bis zum Abschluss des Romans auf. In Deutschland brachten zwölf Tageszeitungen und Zeitschriften Sues Roman in Fortsetzungen, die fast zeitgleich mit den französischen erschienen. Schon bald kam es zu einer Flut von Nachahmungen, die vorgeblich die Geheimnisse europäischer Metropolen und einheimischer Residenzstädte enthüllten.
    Der Hauslehrer in Spielhagens Roman lehnt Sues Trivialroman vehement ab und nennt die dort erzählten Begebenheiten »Ausgeburten der wüsten Phantasie eines verbrannten Dichtergehirns«. Was bleibt da der jungen Frau übrig, als sich für die Wahl ihrer Lektüre zu entschuldigen: »Ja, du lieber Himmel, wir auf dem Lande lesen, was uns die Leihbibliotheken und die Buchhändler zu schicken belieben …« Aber sie setzt dann sogar zu einer veritablen Verteidigung des Buches an: Es sei vielleicht ein Unglück, dass solche Bücher geschrieben werden, und ein noch größeres Unglück, dass insbesondere Frauen an diesen Büchern eine Art von Geschmack fänden, wo sie in ihrer Erziehung und Bildung sowieso schon »verwahrlost« seien. Für ihren Teil nehme sie alles, was Sue schildert, auf Glauben hin, umso mehr, als der Roman die Sphären der Gesellschaft, die sie aus eigener Erfahrung kenne, »zum Teil sehr wahr, sehr treu« schildere. Spielhagen lässt die junge Frau hier referieren, worin sich engagierte Zeitgenossen wie George Sand, Balzac, Karl Ferdinand Gutzkow und der junge Karl Marx einig waren: Die meisten Details in Sues überbordendem Pariser Romangebilde entstammten keineswegs der Phantasie, sondern genauer Beobachtung. Der Autor selbst hatte die betreffenden Viertel von Paris durchstreift, Polizeiberichte studiert und die Mitteilungen seiner stetig wachsenden Leserschaft ausgewertet. Das negative Urteil des Herrn Doktor Hauslehrer beruht darauf, dass er sich von den sozialen Milieus am schmalen oberen und am breiten unteren Rand der Gesellschaft, auf die sich jemand wie Sue bezieht, einfach keine Vorstellung machen kann. Die Lebenswirklichkeit ist bunter, greller und auch abscheulicher, als sein schöngeistiger Idealismus es sich auszumalen in der Lage ist.
    Spielhagens Problematische Naturen dürfte Epoche in Eugenie Johns Leben gemacht haben; ob sie auch Sues Kolportageroman kannte, dessen Einfluss auf den langsam sich entwickelnden sozialen Roman immens war, ist nicht verbürgt, aber wahrscheinlich. Jedenfalls dauert es nicht mehr lange, bis die Vorleserin unter dem Eindruck der Bücher, mit denen sie ihre Vorgesetzte in den

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