Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
derart für sie eingenommen haben, dass er sie einer Scheinprüfung unterzog und ihr dadurch die Immatrikulation ermöglichte. Ins Rampenlicht der Geistesgeschichte trat sie zum ersten Mal mit zwanzig Jahren, als Gast Malwida von Meysenburgs, einer engen Wagner-Freundin und emanzipierten, unabhängigen Frau, die in Rom einen kleinen Salon unterhielt. Sie machte Lou mit dem zwölf Jahre älteren Schriftsteller und späteren Arzt Paul Rée bekannt. Auf gemeinsamen Spaziergängen durch das nächtliche Rom verliebte er sich rasch in die »junge Russin«, wie Lou genannt wurde. Rée wiederum war ein guter Freund des damals siebenunddreißigjährigen Friedrich Nietzsche und schwärmte ihm brieflich von der außergewöhnlichen jungen Frau vor.
Das Ergebnis dieser Anbahnungen, denen die anwesenden älteren Damen einigermaßen fassungslos zusahen, waren drei Heiratsanträge. Den ersten machte Paul Rée, indem er bei Frau von Salomé um die Hand ihrer Tochter anhielt. Den zweiten machte wiederum Rée, aber im Namen von Nietzsche, der in Unkenntnis des Vorgefallenen den Freund bat, seinen Wunsch beim Fräulein von Salomé vorzutragen. Und den dritten machte der Philosoph der ewigen Wiederkehr höchst selbst, indem er wenig später seinen Heiratsantrag Lou gegenüber persönlich wiederholte. Diese lehnte alle drei Anträge freundlich und mit Feingefühl, aber entschieden ab. Freundschaft ja, Liebe nein und Ehe schon gar nicht. Beide Männer gaben vor, sich in dieses Arrangement fügen zu wollen, dem Lou den euphemistischen Namen »Dreieinigkeit« gab.
Zu dieser Zeit entwarf Lou eine Art Agenda ihrer Lebensführung. »Ich kann weder Vorbildern nachleben«, schrieb sie, »noch werde ich jemals ein Vorbild darstellen können, für wen es auch sei, hingegen mein eignes Leben nach mir selber bilden, das werde ich ganz gewiss, mag es nun damit gehen, wie es mag. Damit habe ich ja kein Prinzip zu vertreten, sondern etwas viel Wundervolleres, – etwas, das in Einem selbst steckt und heiß vor lauter Leben ist und jauchzt und heraus will … Wir wollen doch sehen, ob nicht die allermeisten sogenannten ›unübersteiglichen Schranken‹, die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen.« Dieser bewusste Bruch mit der Tradition macht Lou Andreas-Salomé zu einer weiblichen Ikone der Moderne.
Fortan ging Lou zwei Arten von Beziehungen zum anderen Geschlecht ein: zum einen freundschaftliche mit Männern, die ihr an Alter, Lebenserfahrung und geistiger Entwicklung voraus waren. Alle erotischen Avancen in diesen Beziehungen wies sie zurück; wurde die Zurückweisung nicht akzeptiert, erfolgte die Trennung. Auch den fünfzehn Jahre älteren Friedrich Carl Andreas heiratete sie nur unter der Bedingung, niemals die Ehe mit ihm zu vollziehen. Andreas ging wohl davon aus, dass sie ihren Widerstand mit der Zeit aufgeben würde, täuschte sich aber in der Willensstärke seiner Frau.
Die andere Form der Liebesbeziehung unterhielt Lou mit deutlich jüngeren Männern, die ihr an Erfahrung und Wissen, an Persönlichkeit und geistiger Reife unterlegen waren. Hier war Sexualität zugelassen, und Lou befand sich in der Rolle der Lehrerin und Seelenführerin. Exemplarisch dafür ist ihre Beziehung zu dem vierzehn Jahre jüngeren Rainer Maria Rilke, den sie kennenlernte, als sie sechsunddreißig Jahre alt war. In der Liebesbeziehung zu dem schmächtigen Dichter scheint sie erstmals ihren grundsätzlichen Widerstand gegen eine sexuelle Beziehung aufgegeben zu haben, wohl weil sie sich ihm gegenüber nicht ausgeliefert fühlte und die Entwicklung des Liebesverhältnisses in ihrer Hand wusste. Die Kehrseite dieser Art von Beziehungen war indes, dass die betreffenden Partner sich mit der Zeit immer tiefer in die Liebe zu ihrer gefühlswarmen, mütterlichen Freundin verstrickten und sich von ihr abhängig machten. Sobald sich in Lous Augen eine Beziehung in diese Richtung zu entwickeln drohte, brach sie sie entweder gleich ab oder schickte ihren Liebhaber wenigstens zeitweilig fort.
Parallel zu Fenitschka entstand Lou Andreas-Salomés großer Essay Der Mensch als Weib. Die Frau sei die wahre Lebenskünstlerin und brauche in jedem Fall »Freiheit und immer wieder Freiheit«; die »vorhandenen Schranken des Hauses, der geltenden Verhaltungsmaßregeln« müssten deshalb außer Kraft gesetzt werden. In Die Erotik, ihrem Beitrag für Martin Bubers Schriftenreihe Die Gesellschaft, wurde Lou dann sehr konkret, was unter solcher Freiheit zu
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