Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
beide auslachen.«
Tess, Die Ausgestoßene, Fenitschka, Das Erwachen – vier Geschichten von Frauen, die beiden letzteren auch von Frauen geschrieben, entstanden zu einer Zeit, da das 19. Jahrhundert absehbar seinem Ende zueilte. Den größten Aufruhr hat damals Thomas Hardys Roman gemacht, der die Provokation schon im Titel führte, wenn Tess dort trotz mehrfacher Verfehlung »eine reine Frau« genannt wird. Ganze Familien sollen sich damals in »Pro- und Kontra-Tess-Lager« gespaltet haben, und bei Essenseinladungen berücksichtigten die Gastgeberinnen, welche Meinung ihre Gäste zum Roman vertraten, und setzten die Gleichgesinnten zusammen. Dankesbriefe von Leserinnen, die Hardy unter Berufung auf den von Tess gegen ihre Mutter erhobenen Vorwurf mitteilten, sie würden den Roman ihren Töchtern als Aufklärung und Warnung zur Lektüre geben, schmeichelten ihm, aber es ist mehr als zweifelhaft, dass sie seiner eigentlichen Intention gerecht wurden.
Im Jahr vor dem Erscheinen der Buchausgabe von Tess hatte Hardy den Essay Candour in English Fiction ( Freimut in der englischen Literatur ) veröffentlicht und sich darin mit den Literaturzeitschriften und Leihbibliotheken angelegt. Wie zu seiner Zeit üblich, war Tess zuvor in Fortsetzungen in einem Magazin erschienen, und die Herausgeber hatten dem Autor drastische Zugeständnisse abverlangt. Wutentbrannt beklagte Hardy, dass die gegenwärtigen Förderer der Literatur nicht mehr gebildete Kenner, sondern Vollzugsgehilfen der »Zensur aus Prüderie« seien. Magazine und Leihbüchereien richteten sich nach dem, was häusliches Lesen genannt wurde, also nach den Interessen und dem Geschmack der Leser, die einem gemeinsamen Haushalt angehörten. Diejenigen, die dort durch ihre Abonnements und Mitgliedschaften über den Lesestoff bestimmten, seien in der Regel die beiden Erwachsenen, die am wenigsten Zeit hätten, sich der Gegenwartsliteratur zu widmen, die aber den anderen vorschrieben, was ihr Geschmack zu sein habe und was gute und was schlechte Literatur sei. »Als eine Folge davon fördern Magazine und Leihbüchereien nicht das Wachstum des Romans, der das Leben darstellt und enthüllt, wie es wirklich ist. Sie zielen geradewegs darauf ab, den Roman auszurotten, indem sie das literarische Leben monopolisieren.«
Trotzdem (oder auch gerade deswegen) fand Hardy literarische Mittel, um zur Sprache zu bringen, worum es ihm ging. Was seinem Roman bis heute begeisterte Leser verschafft, ist seine pulsierende Prosa, die das Geschehen in eine von Sinnlichkeit vibrierende, beinahe sexuelle Atmosphäre taucht, welche ihresgleichen nicht nur in der englischen Literatur sucht. Es dürfte wohl kaum einen Roman der Weltliteratur geben, in dem der Mund einer Frau sinnlicher beschrieben wird als in Hardys Roman. Die Szene, in der Alec Tess mit frisch gepflückten Erdbeeren füttert, ist nicht zu Unrecht weltberühmt geworden, bis hin zum Titel von Klaus Kinskis Memoiren Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund . (Kinskis Tochter Nastassja hat dann auch die Tess in der Romanverfilmung von Roman Polanski gespielt.)
Der Naturalist Thomas Hardy begegnete den zu seiner Zeit üblichen Idealisierungen der Liebe mit Skepsis. Tess ist in mancher Hinsicht eine Nachfahrin Emma Bovarys, allerdings ohne deren Ambitionen und Allüren, mit allen ihren Sinnen vollkommen in der Gegenwart lebend, gleichsam diesseits von Gut und Böse. Der Verführer Alec und der Moralapostel Angel Clare haben nicht nur ähnlich klingende Namen, sondern mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein dürfte. Ihre Selbstgerechtigkeit und ihr Egoismus stürzen die reine Tess ins Verderben. Verhaftet wird sie schließlich auf der steinzeitlichen Kultstätte Stonehenge. In der Schlussszene des Romans steht Angel vor dem Gefängnis, in dem Tess einsitzt, und beobachtet, wie die schwarze Fahne hochgezogen wird: das Zeichen für ihre Hinrichtung. In der modernen Welt, deren Heraufkunft Hardys Roman in packenden Bildern beschreibt, hat eine Frau, die über keinen ausgebildeten Intellekt verfügt, keine Chance; sie ist dazu verurteilt, das hilflose Opfer kalter Männerherzen zu sein.
Die zur weiblichen Selbstbehauptung notwendige Intellektualität besitzt Luigi Pirandellos Sizilianerin Marta. Noch ganz dem traditionellen Frauenbild verhaftet, haben ihre Eltern sie von der Schule genommen, als sich eine gute Partie anbot, und dabei auf den Lerneifer ihrer Tochter keine Rücksicht genommen. Der aber ist ihre Rettung in höchster Not,
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