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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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langweilt und ermüdet und die eheliche Zuneigung mehr als lau ist. Edna ist da bald neunundzwanzig.
    Aber Edna macht auch zwei Erfahrungen, die mit ihrer Verliebtheit zwar verknüpft sind, darin aber nicht aufgehen. Die erste trägt den Namen Frédéric Chopin. Auf einer Soiree spielt Mademoiselle Reisz, eine wahre Künstlerin am Klavier, einige seiner Impromptus und Préludes. Es ist, als gelte das Klavierspiel allein ihr: Einsamkeit, Hoffnung, Sehnsucht und Verzweiflung reißen sie hin und her, »peitschen auf sie ein wie die Wellen, die Tag für Tag gegen ihren wunderbaren Körper« schlagen. Mademoiselle Reisz, die Edna auch nach dem Sommer noch häufiger in ihrer Mansarde in New Orleans aufsuchen wird, ist als Musikerin eine Weisheitslehrerin sokratischen Zuschnitts: Wie der antike Sokrates von äußerer, beinahe abstoßender Hässlichkeit, verfügt sie über eine unvergleichliche innere Schönheit, die auf Edna ausstrahlt und sie in Begeisterung versetzt.
    Die zweite Erfahrung hat mit dem Meer zu tun. Gerade erst hat Edna ihre Angst vor dem Wasser überwunden und schwimmen gelernt; gleich aber will sie schon so weit hinausschwimmen, »wie noch keine Frau zuvor hinausgeschwommen war«. Sie hat den Eindruck, nach dem grenzenlosen Raum zu greifen, um sich darin zu verlieren, sieht sich gar mit dem Tod konfrontiert. Mit einer gewaltigen Anstrengung gelingt es ihr, ans Ufer zurückzukehren. Ihr Mann macht dazu nur wieder eine seiner bissigen Bemerkungen; Robert hingegen erweist sich auch dieses Mal als wahrer Frauenversteher.
    Wie in ihren Kreisen üblich, ist Edna eine fleißige Leserin. Sie liest Guy de Maupassant und von den Brüdern Edmond und Jules de Goncourt den Roman Renée Mauperin , der eine »psychologische Analyse der heutigen Jugend« sein wollte mit einer nach damaligen Maßstäben äußerst emanzipierten Titelheldin, was sich in ihrer Sportlichkeit, ihrer Kreativität, ihrer Meinungsfreudigkeit, vor allem aber ihrer Abneigung gegen die Konvenienzehe niederschlägt. Als Mädchen hat Edna zusammen mit ihrer engsten Schulfreundin die Klassiker des modernen englischen Romans verschlungen, etwa die Romane der Brontë-Schwestern. Später liest sie auch Ralph Waldo Emerson, dessen Ideal einer freiheitlichen, selbstverantwortlichen Lebensführung sie sich Stück für Stück zu eigen macht. Vor allem aber lässt sie sich in diesem Sommer ganze Vormittage lang von Robert vorlesen, während das Kindermädchen sich um die Buben kümmert. Als Robert dann plötzlich und unerwartet nach Mexiko abreist, finden die gemeinsamen Lektürestunden ein Ende.
    Zurück in der Stadt, beginnt Edna sehr zum Missfallen ihres Mannes ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen als Dame des Hauses zu vernachlässigen. Die bislang zurückhaltende, gehemmte Gattin entwickelt sich zu einer Frau, die vor Leben sprüht und ihre Umgebung mit frei erfundenen, voller Leidenschaft erzählten Geschichten etwa von einem Liebespaar unterhält, das eines Nachts aufs Meer hinausrudert und nie mehr zurückkehrt. Als ihr Mann einige Wochen geschäftlich abwesend ist, gibt sie die beiden Kinder in großmütterliche Obhut und bereitet, ohne Mr Pontellier gefragt zu haben, ihre Übersiedlung aus dem repräsentativen Anwesen in ein kleines Vierzimmerhaus um die Ecke vor. Nach dem kleinen Fest, das sie anlässlich ihres Auszugs gibt, lässt sie sich von einem stadtbekannten Frauenheld verführen. Sie liebt ihn keineswegs, aber er entfacht vom ersten Kuss an ein ihr bislang unbekanntes sexuelles Verlangen.
    Als Robert dann aus Mexiko zurückkehrt, gesteht sie ihm ihre Liebe. Wie sich herausstellt, war seine plötzliche Abreise nichts als Flucht – Flucht vor der Leidenschaft, die auch er für sie zu empfinden begonnen hat. Doch Robert ist, wie Angel Clare, ein Sklave der Konvention; seine erotische Phantasie beschränkt sich darauf, dass die Frau, die er liebt, aus dem Besitz des Ehemanns in seinen übergehen könnte. Edna hingegen ist zu diesem Zeitpunkt in Kate Chopins 1899 erschienenem Roman Das Erwachen längst so weit, ihm zu antworten: »Sie waren ein sehr, sehr törichter Junge und haben nur ihre Zeit verschwendet, wenn Sie davon geträumt haben, Mr Pontellier könne mich freigeben! Das ist unmöglich. Ich bin nicht länger eines von seinen Besitztümern, über die er nach Gutdünken verfügen kann. Ich entscheide selbst, wohin ich gehöre. Sagte er: ›Hier, Robert, nehmen Sie sie und seien Sie glücklich, sie gehört Ihnen‹, so würde ich euch

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