Frauen wollen reden, Männer Sex: Wie verschieden sind wir wirklich, Herr Buschbaum? (German Edition)
typisch männlichen Vorlieben, und die Calabai, anatomische Männer mit typisch weiblichen Vorlieben. Das fünfte Geschlecht nennen sie Bissu. Das sind Menschen, die weder eindeutig einen Mann noch eine Frau verkörpern, sondern eher eine Kombination aus beiden darstellen. Sie tragen ihre besondere Kleidung, können anatomisch weiblich, männlich oder intersexuell sein und gelten als Heiler und Vermittler zwischen Menschen und Geistern.
Mir geht es in meiner Vision nicht ausschließlich um die Akzeptanz von Männern oder Frauen, die mit den falschen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, sondern primär um den Respekt für Menschen, die von der Norm abweichen. Viele von uns sind psychisch labil, geistig oder körperlich behindert, depressiv, streben nach einem unerfüllbaren Perfektionismus, haben Zwangs-, Angst- und Essstörungen, leiden an Beziehungs- und Trennungsangst, sind Autisten oder Mutisten, haben unkontrollierte Wutausbrüche und Selbstmordgedanken. Im Prinzip weichen wir doch alle in irgendeinem Bereich von der Norm ab! Erich Fromm merkte schon 1955 an, dass die angeblich »Kranken« oder »Gestörten« eigentlich die Normalen seien, weil sie zumindest noch Symptome zeigten und sich nicht so abgestumpft und angepasst verhielten wie der »normale« Mensch, der nur nicht auffallen möchte, obwohl er eigentlich gerne ganz anders wäre.
Es liegt auf der Hand, dass den Menschen wesentlich mehr als nur das Geschlecht ausmacht. Die äußeren Geschlechtsmerkmale sind kleine Details, die das ganze Bild, bestehend aus Geist und Seele, nur komplementieren.
Die biologische Erklärung für die Unterscheidung der Geschlechter ist, dass der Träger der XX-Chromosomen eine Frau und der Träger der XY-Chromosomen ein Mann ist. Aber können wir es uns tatsächlich so einfach machen? Gewiss nicht. Denn die Natur ist alles andere als vorhersehbar und begrenzt in ihrem Spieltrieb. Im Laufe der Evolution haben sich immer wieder neue Tier- und Pflanzenarten entwickelt, sich verändert, sind ausgestorben oder haben sich weiterentwickelt. Auch der Mensch hat eine erstaunliche Entwicklung vom Frühmenschen bis zum Homo sapiens sapiens zurückgelegt. Wer sagt, dass diese Entwicklung abgeschlossen ist? Es gibt nichts, was es nicht gibt, und selbst jene Arten, die wir uns in heutiger Zeit kaum vorstellen können, werden vielleicht irgendwann einmal existieren.
Diejenigen Aspekte, die wir in unserem Gehirn wirklich messbar machen können, sind wenige. Auch wenn wir in der Forschung weit vorangeschritten sind, wird der Mensch als ganzes, komplexes Konstrukt niemals erkannt, geschweige denn in seinem Zusammenspiel von Körper und Geist beschrieben oder vermessen werden können. Dazu existieren zu viele Faktoren, die in keine Zahlen- oder Buchstabenstatistik passen. Deshalb sind wir auch vielfältiger, als die Buchstabenkombination XX und XY uns das suggeriert.
Verschiedene Chromosomenabweichungen können zu Normvarianten führen, wie zum Beispiel dem Klinefelter-Syndrom. 1942 hatte der US-Endokrinologe Harry Klinefelter, nach dem das Syndrom genannt ist, herausgefunden, dass der typische Karyotyp eines Mannes, nämlich 46-XY, durchaus Abweichungen aufweisen kann. Im Falle des Klinefelter-Syndroms bei Jungen und Männern enthalten mehr oder weniger Körperzellen ein oder mehr zusätzliche X-Chromosomen. Das ergibt den Buchstabensalat 47-XXY, 48-XXXY usw. Forscher schätzen, dass diese Chromosomenabweichung bei jedem 590. bis 900. Neugeborenen auftritt. Auswirkungen und Symptome variieren von Fall zu Fall. Generell handelt es sich um eine Keimdrüsenunterfunktion im Pubertätsalter, die meistens zur Folge hat, dass die betroffenen Männer unbehandelt keine Kinder zeugen können, da ihre Hoden im Laufe ihrer Pubertät schrumpfen und sie keine funktionstüchtigen Spermien produzieren können.
Ein Philosoph sagte einmal, dass wir ebenso viele Atome in uns haben, wie es Sterne im Universum gibt. Ich glaube, dass wir durch alles, was uns körperlich ausmacht, mit dem großen Ganzen verbunden sind. Es spielt keine Rolle, welche Buchstaben oder Bezeichnungen uns als Mann, Frau oder was auch immer definieren. Menschen schreiben sie auf Papier, weil sie messbar und objektivierbar scheinen. Aber im Grunde genommen wollen sie nur ihre weltlichen Zweifel im Angesicht der höheren Ordnung der Dinge übertünchen. Wer Zweifel hegt, geht meist den Weg der Vernunft, des Nachweisbaren und Dokumentierbaren. Der Mensch aber, der nicht zweifelt, sucht
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