Frauenbataillon
Grasboden ein, bis sie, die Dicke, entspannt stöhnte: »Prekrasnij … prekrasnij …«, was soviel heißt wie »Wie schön … wie herrlich …«
Peter Hesslich schlich sich davon und kehrte in sein gutes Versteck zurück. Er legte sich auf den Rücken, drückte das Gewehr an seine Seite und starrte hinauf in das Blätterwerk der Büsche und Bäume. Es war nun Nacht geworden, der Wind rauschte im Geäst, und er lauschte auf jeden Laut und begann, ihn zu deuten.
Ein stiller Wald, dachte er. Der Krieg hat die Tiere vertrieben. Nur ein paar Krähen gibt es noch. Die Erinnerung an seinen Forst tauchte auf, die Rehe, die im Morgennebel heraustraten und über die Waldwiesen zogen, die kurzbeinigen Schwarzkittel, die das Feld umwühlten, die Bussarde, die weitschwingig und lautlos unter der noch bleichen Sonne ihre Jagdkreise flogen, der Fuchs, der durch das taunasse Gras schnürte, und das Wieselchen, das auf einem Stein saß und sich putzte.
Welch eine herrliche Welt! Dort hatte der Jungförster die Realitäten verträumt. Wenn ihm damals jemand gesagt hätte: Du wirst einmal als Einzelkämpfer und Scharfschütze gnadenlos einen Menschen nach dem anderen töten, nur weil man dir sagt, du müßtest es tun, um Deutschland zu retten … dann hätte er den nicht nur ausgelacht, sondern ihn auch an die Stirn geschlagen und geantwortet: Dein Kopf muß ja voller Scheiße sein! Und nun lag er hier am Donez, tief im russischen Land, das er nie hatte betreten wollen, und wenn, dann nicht auf diese Weise, lag mit der Waffe in der Hand in einem stillen Wald, der wie ausgestorben wirkte, und wartete auf die Sekunde, in der er auf einen blondgelockten Mädchenkopf würde schießen können, ohne Zittern in den Händen, ohne verkrampftes Herz, ohne Reue. Das Bild des toten Uwe Dallmann, der neben ihm lag, das jungenhafte Lachen erstarrt auf den Lippen, die Augen ungläubig aufgerissen, an der Nasenwurzel das kreisrunde Loch – dieses Bild wollte nicht aus seinem Gedächtnis weichen. Es würde ihn immer verfolgen, und die ständige Frage nach dem ›Warum?‹ verdrängen.
Hesslich fiel in einen leichten, unruhigen Schlaf. Jedes Knacken in den Bäumen schreckte ihn auf, jeder stärkere Windhauch alarmierte ihn. Seine Nerven reagierten wie feinste elektronische Empfänger auf den geringsten Laut. Sein Körper schlief, bewacht von übersensiblen Antennen.
Keine dreihundert Meter von ihm entfernt erreichte in dieser Nacht Stella Antonowna den Waldrand und setzte sich an einen Baum. Das Gewehr lag schußbereit über ihrem Schoß, die Hände hatte sie über dem Schloß gefaltet.
Warten wir jetzt, dachte sie. Warten! Er wird kommen! Er ist hier … irgendwo ganz in der Nähe …
Zwei Tage lagen sie auf der Lauer, ohne einander zu sehen. Man ahnt ja gar nicht, wie groß ein verhältnismäßig kleiner Wald sein kann! Die Besuche der sowjetischen Soldaten hatten überdies aufgehört, da das ganze Gebiet zur Sperrzone erklärt worden war, solange der geheimnisvolle Deutsche mit der Strickmütze dort herumschlich.
Aber den schien der Erdboden verschluckt zu haben. Oder er war auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, wieder zu den deutschen Linien zurückgekehrt, und das konnte als Blamage empfunden werden: Um dies zu erreichen, hätte er ja wieder die sowjetischen Kampflinien kreuzen und den Donez durchschwimmen müssen! Und keine Patrouille hatte ihn bemerkt? Kapitän Bajda, was ist mit ihrer Elite-Einheit los?
»Er ist noch da!« sagte Soja Valentinowna verzweifelt zu Ugarow und ins Telefon zu Bataillon und Regiment, von wo aus dauernd Anfragen kamen. »Ich kann es nicht erklären, wieso ich das weiß! Wenn ich Ihnen sage, daß Stella Antonowna noch nicht zurückgekehrt ist und daß ich nur deshalb so sicher bin, dann halten Sie mich für eine Verrückte, nicht wahr, Genosse?!«
Man bestätigte das nicht, aber da man ihr auch nicht widersprach, wußte Soja Valentinowna, daß höheren Ortes ihre Äußerungen mit großer Verwunderung aufgenommen wurden.
Hinzu kam, daß Sibirzew sich irrte, und das war das allerärgste! In einem verlassenen Dorf sah er plötzlich eine Gestalt herumhuschen. Er schoß sofort.
Der meisterhafte Schuß traf die unschuldige Bäuerin Natalija Fillipowna Schmelchowa. Sie war heimlich in ihr ehemaliges Haus geschlichen, um einen unter den Dielen versteckten Sack Hirse auszugraben und zurückzubringen.
Die Sache war ungemein peinlich, aber da das Dorf Sperrgebiet war und niemand dort etwas zu suchen hatte –
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