Frauenbataillon
Ein glühendes Stück Eisen durchschlug seinen Oberschenkel, zerfetzte den großen Muskel, trennte ein Stück Fleisch ab, verschonte aber den Knochen. Es war keine lebensgefährliche Verwundung, aber sie machte ihn bewegungsunfähig. Die Granate war vor dem Kübelwagen eingeschlagen, mit dem er gerade, begleitet von fünf Mann, die Bahnlinie von Kursk nach Charkow erreichen wollte; um bei dem Ort Kasatschja Lopan wieder Anschluß an die eigene Truppe zu bekommen. Nach einem Panzervorstoß der Sowjets waren sie versprengt, hatten den verlassenen Kübel gefunden und gejubelt, als sie noch zwei volle Spritkanister auf den Rücksitzen fanden. Wer den Wagen verlassen hatte und warum, das war jetzt gleichgültig. Mit einem Höllentempo rasten sie über die Steppe und durch das Kusselgelände, immer der Tatsache bewußt, daß links und rechts von ihnen die feindlichen Panzerspitzen vorrückten. Es war ein Wettlauf um das nackte Leben.
Die Granate schlug vor ihnen ein. Der Kübelwagen hob sich vom Boden ab, drehte sich in der Luft und fiel zerfetzt zur Erde. Vier Mann waren sofort tot. Der fünfte lebte noch zwei Stunden, mit einem halben Kopf. Hesslich kroch herum, eine breite Blutspur hinter sich, sein Bein zuckte wild und brannte höllisch. Er suchte die Toten ab, nahm ihnen die Verbandspäckchen weg und drückte alle auf seine breite Fleischwunde. Allein lag er dann zwischen dem zerfetzten Auto und seinen gefallenen Kameraden in der Steppe, lag auf dem Rücken, starrte in den blauen Sommerhimmel und wartete auf den Tod. Vielleicht würde es ein schönes Sterben, ein Hinübergleiten in die Schwerelosigkeit, ein schlichtes Sichwegstehlen aus dieser Welt. Verbluten ist nahezu angenehm. Man wird schwach und müde und schläft sich in die Ewigkeit.
Stella Antonowna fand ihn am Abend.
Ein Zufall war's, wie so oft im Leben Zufälle unsere Zukunft bestimmen.
Der Abteilung Bajda, die nun diesen Namen offiziell trug, im Gedenken an die tapfere Soja Valentinowna, war nach dem neuen Durchbruch der Panzerkeile zur Bahnlinie die Aufgabe gestellt worden, das Land von den auseinandergesprengten deutschen Einheiten zu säubern. Zusammen mit drei Kompanien eines Reserve-Infanteriebataillons kämmte sie nun alle Dörfer und Scheunen durch, alle Waldstücke und Buschgruppen und holte die versteckten deutschen Soldaten heraus. Ein anderer Trupp sammelte die Toten auf, warf sie auf Lastwagen und fuhr sie zu langen flachen Gräben, wo sie aufeinandergeschichtet und verbrannt wurden. Wie damals in Stalingrad, wo nach der Befreiung die Leichenberge in der Steppe brannten. Das war einfacher als Gräber anzulegen. Und hinterließ keine Spuren.
Den zerfetzten deutschen Kübelwagen, umgeben von den Toten, sah Stella Antonowna von weitem, als sie mit einem der amerikanischen Jeeps über die Steppe fuhr. Sie war allein, die Abteilung lag in einem Dorf und aß zu Abend, die Panzerreserve rollte vor. Die Artillerie schoß in einem Bogen über die eigenen Stellungen hinweg und zertrümmerte den deutschen Plan, die Bahnlinie als neue Auffangstellung einzurichten. Nun war Stella unterwegs zum Chef der neben ihr liegenden Infanteriekompanie, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Sie bremste auf einem der flachen Steppenhügel, setzte das Fernglas an die Augen und blickte hinüber zu dem zerfetzten Wagen. Langsam tastete sie die Gruppe ab: das Auto, die Toten, einen nach dem anderen. Bei einem Körper verhielt sie. Es schien ihr, als habe er sich noch bewegt. Sie wartete, behielt ihn im Glas und sah plötzlich, wie sich der Körper auf Knien und Händen aufstützte und zu kriechen begann.
Stella Antonowna warf ihr Fernglas auf den Sitz, zog das Gewehr an sich, gab Gas und fuhr hinunter zu den Wagentrümmern. In einer Staubwolke bremste sie, sprang hinaus und stürzte auf den deutschen Soldaten zu, der nun auf der Seite lag. Sie sah seine zerfetzte Uniformhose, die vom Blut durchtränkt war, sah zwischen den Stoffresten die dicken, durchgebluteten Verbände. Der Mann hatte den Kopf zwischen die Arme gelegt und atmete schwer.
»Stoj!« sagte Stella Antonowna scharf. Das berühmte Stoj, dessen Klang kein deutscher Kriegsgefangener jemals aus dem Ohr verliert. Sie richtete den Gewehrlauf auf seinen Kopf. Diesen Abschuß wollte sie nicht zählen, es war nur ein Gnadenschuß.
Der Verwundete hob den Kopf. Aus einem mit Blut und Staub verschmierten Gesicht starrten sie zwei müde Augen an. Auch wenn das kaum noch sein Gesicht war – sie erkannte es
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