Frauenbataillon
melden ließ.
»Genosse«, rief sie ohne Einleitung, »ich habe mich mit meinem Mann überrollen lassen, wir haben ausgehalten in unserem Haus, die Faschisten haben uns verhört, gefoltert und meinen armen Pjotr fast in Stücke gerissen. Aber wir sind geblieben! Das ist unser Boden, haben wir gedacht. Nicht einen Meter geben wir her! Und wie dankt man es mir? Draußen stehen sie Schlange, um sich auf mich zu legen! Ist das die Befreiung?! Nicht mal die Faschisten haben mich angerührt!«
Sie tobte so lange, bis der Oberst sich hinausbegab, einen Ordonnanzoffizier anbrüllte und bei strenger Strafe verbot, diese Genossin Bäuerin – er hatte nicht einmal nach ihrem Namen fragen können – zu belästigen.
Stella Antonowna hatte die erste Hürde genommen. Sie konnte sich frei bewegen, sie sammelte Lebensmittel ein, Brot und Butter, auch Geschirr und Bestecke und neue, das heißt brauchbare Schuhe für sich und Pjotr. Aus dem Divisionsmagazin ließ sie sich Hemden und Unterhosen geben, dazu eine Wolljacke, die leidlich paßte, und auch Verbandszeug schaffte sie heran, um Pjotr frisch zu verbinden.
Der Divisionsstab blieb vier Tage. Am 20. August zog er weiter nach vorn. Stella kam aufgeregt zu Hesslich gelaufen, der in der Sonne lag. Seit einem Tag hatte er auch den Kopf dick verbunden, einschließlich Nase und Mund. Dort saß der Verband aber so locker, daß er noch gut atmen konnte.
»Muß sejn«, hatte Stella Antonowna ihm erklärt. »Wann kommt jämand, du nix sprächen Russisch. Mund zu – värstähn? Mund kaputt, nix sagänn. Folter von Faschisten …«
Der dicke, dramatisch wirkende Kopfverband, dazu Stellas glutvolle Berichte – das machte Eindruck. Einige sowjetische Offiziere besuchten den gefolterten Pjotr, redeten ermunternd auf ihn ein, Hesslich nickte ab und zu, die Offiziere salutierten vor diesem Opfer deutscher Brutalität, als sei er ein Held, und dann nahmen sie Stella mit. Nach drei Stunden, in denen Hesslich Höllenqualen der Ungewißheit litt, kehrte sie mit einem in den Rädern quietschenden Handwagen, voll beladen mit Lebensmitteln, zurück. Auch Wein und Wodka waren dabei, Papirossy und für den gequälten Pjotr sogar zwei Paar Strümpfe. Neue Strümpfe, keine geflickten. Beste Ware.
»Sieg vor Charkow!« rief Stella und warf die Arme hoch vor Freude. »Panzär, von allän Sejtän! Deutsche Armä kaput. Pjotr, Pjotr, wir nächste Wochä auch in Charkow! Neues Läbbän!«
Hesslich hatte ein außergewöhnlich gutes ›Heilfleisch‹. Auch diese sechs Tage nach seiner Verwundung hatten zu keiner Krise geführt. Die Wunde hatte sich nicht entzündet, sie eiterte nicht, es gab keine Infektion. Nur zwei Tage lang hatte er Fieber gehabt, dann sah der Körper anscheinend keine Notwendigkeit mehr, sich zu wehren. Die Wunde verschorfte, ein Loch im Oberschenkel blieb, aber da der Knochen nicht verletzt war, humpelte Hesslich schon am fünften Tag wieder herum. Auf Stellas Gewehr stützte er sich nicht mehr – das hatten sie unter Geröll versteckt. Jetzt hielt er sich bei jedem Schritt an einem Stück Deichsel fest, das er in den Trümmern gefunden hatte. Es war länger als er, und wenn er so herumging, hätte ein Christ vielleicht an den bärtigen Sankt Christophorus gedacht, dem auch eine große Holzstange als Stütze diente. Ein eindrucksvoller Anblick vor allem für jene, die wußten, wie arg dieser Pjotr von den Deutschen zugerichtet worden war. Ins Bein hatten sie ihn gehackt, den Mund zertrümmert! Alles beim Verhör! Wenn Stella Antonowna das schilderte, mit anklagender Stimme und wilden Gebärden, starrten alle den armen Mann an und bewunderten ihn. Ein Patriot. Ein Held.
Und Hesslich, der nichts verstand von ihren Reden, nickte nur und ließ sich die Hand drücken.
Unaufhörlich, Tag und Nacht rollten die Kolonnen an ihnen vorbei. Sie saßen in den Trümmern ihres zerstörten Hauses; ein Bauernehepaar, das aus dem großen Krieg nur sein nacktes Leben gerettet hatte, und warteten geduldig auf die neue Zeit.
Verzweifelt kämpften sich die deutschen Divisionen zurück. In rasantem Vorstoß drangen die sowjetischen Truppen bis nach Kotelwa und Qalki vor und drohten die ganze deutsche Südfront aufzuspalten. Fünf Armeen trieben die 4. Panzer-Armee vor sich her, bis südlich der lebenswichtigen Eisenbahnlinie Charkow-Poltawa Panzerdivisionen der Waffen-SS die 6. Garde-Armee und die 5. Garde-Armee aufhalten konnten, die freilich sofort umschwenkten und als Westkeil auf Charkow stießen.
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