Frauenbataillon
nicht in Gefangenschaft kommen, Stella. Ich kann dich nicht beschützen. Lauf weg! Schnell!«
»Ich bleibä bei dirr.«
»Das ist doch Wahnsinn!«
»Nix Wahnsinn … ist Liebbä.«
Sie startete den Jeep, fuhr langsam über die Steppe bis zu einem zerschossenen Dorf, über das jetzt die deutschen Granaten hinwegorgelten, um weiter hinten in die Bereitstellungen der Sowjets einzuschlagen. Es war das vorbereitende Feuer, das auch die Abteilung Bajda so vernichtend traf, während Sibirzew versuchte, Stella bei der Nachbarkompanie zu erreichen.
Das Dorf war verlassen, die erste Artilleriewelle hatte es getroffen, die dort eingesetzten vorgeschobenen Posten und Beobachter hatten sich zurückgezogen. Als Stella sich umblickte, sah sie in der fahlen Dunkelheit das Aufblitzen von Abschüssen. Die deutschen Panzer rückten vor.
Sie hielt, irgendwo vor einem zertrümmerten Haus, lief hinein und suchte nach einem Versteck. Erst im vierten Haus fand sie eine Art Keller, eine grob ausgemauerte Grube mit einem Holzdeckel, in der früher Kartoffeln gelagert hatten. Ein paar Pfund waren noch übrig, verfault und glitschig. Es war ein Versteck, in dem man bleiben konnte.
Stella Antonowna schob mit den Stiefeln den Kartoffelmatsch in eine Ecke, rannte zurück und sah Pjotr, wie er neben dem Jeep stand, sich am Rahmen der Frontscheibe festklammernd.
»Du mußt weg!« schrie er ihr zu. »Unsere Tiger kommen!«
»Du nix mehr allejn, Pjotr. Du mit mir!«
Sie stützte ihn, und wieder begann die unendliche Qual des Hüpfens. Ins Haus und dann kriechend hinein in den flachen Keller. Der Gestank der faulenden Kartoffeln nahm Hesslich fast den Atem, aber er konnte sich wenigstens ausstrecken. Stellas Gewehr legte er als Stütze unter seinen Oberschenkel. Dann atmete er tief durch, mehrmals, und der Schmerz ließ etwas nach.
Stella lief wieder hinaus. Während sich die deutschen Panzerspitzen feuernd näherten, fuhr sie den Jeep vor das Dorf, zerschoß mit dem deutschen Gewehr die Reifen und sprang im Schutz der Ruinen zu ihrem Versteck zurück. Dort häufte sie Unrat über die hölzerne Kellerklappe, öffnete sie vorsichtig, und zog sie über sich zu. Ganz nah kroch sie an Hesslich heran, tastete in der undurchdringlichen Dunkelheit nach ihm, fuhr über seinen Körper und sein Gesicht und konnte jetzt verstehen, daß Blinde mit den Fingerspitzen sehen können. Sie wußte, daß Pjotr die Augen offen hatte und sie anstarrte, daß seine Lippen zuckten, daß noch immer ein Zittern in seinem Körper lag, den er auf dem glitschigen, nach Verwesung und gärendem Alkohol stinkenden Boden ausgestreckt hatte, ihr Gewehr als Stütze unter seinem zerfetzten Oberschenkel.
Die Erde bebte. Die Schlacht hatte begonnen. Die deutschen Panzer rückten weiter vor, die sowjetischen T 34 und die Pak legten Sperrfeuer, die russische Artillerie mischte sich mit Streufeuer ein und traf auch in das Dorf, das nun zwischen den Linien lag. Die Ruinen zerplatzten, fünf Häuser brannten, und das Haus, in dessen Keller Stella und Hesslich lagen, fiel über ihnen zusammen.
Eng aneinandergepreßt lagen sie in ihrem Versteck und warteten auf einen Volltreffer, der alle Probleme lösen würde. Wenn unter ihnen der Boden erzitterte und über ihnen die Explosionen brüllten, drückte Stella ihr Gesicht an Pjotrs Brust und schlang die Arme fester um ihn. So wollte sie mit ihm sterben, in seinen Armen, an ihn gepreßt, eine Einheit, die man nicht mehr trennen konnte.
Die ganze Nacht tobte der Kampf. Sie hörten, wie Panzer – ob sowjetische oder deutsche, war nicht zu bestimmen – durch das brennende Dorf rollten, sie hörten das Schießen fast unmittelbar über sich, als stände ein Panzer mitten in den Trümmern ihres Hauses, dann rasselten die Ketten, Granaten schlugen ein, bis plötzlich eine unheimliche Stille folgte, während der Boden noch immer bebte, nachzitternd von fernen Einschlägen. Nun war der Krieg über sie hinweggezogen, sie wußten nur nicht, ob sie jetzt auf deutscher oder auf sowjetischer Seite lagen.
Der Morgen kam, dieser schreckliche Morgen, an dem die Abteilung Bajda das Kampfgebiet nach Stella Antonowna absuchte und Lida Iljanowna immer wieder schrie: »Ich glaube es nicht! Wo ist sie denn? Ich glaube es erst, wenn ich sie sehe …« Und als man dann wußte, daß die Korolenkaja nicht wiederkam, daß die Deutschen sie mitgeschleift hatten, als man den zerschossenen Jeep entdeckte und das blutbeschmierte Trefferbuch, da sagte Sibirzew: »Ich
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