Frauenbataillon
Die deutsche 8. Armee, die voll im Sturmlauf der 7. Garde-Armee lag und im Rücken von der durchgebrochenen 57. Armee erfaßt wurde, hatte Charkows ausgebaute Stellungen besetzt. Aber es war sicher, daß sie Konjews Steppenfront nicht standhalten konnte.
Vergeblich rief von Manstein nach Verstärkung. Hitler antwortete mit Nein. Woher auch nehmen? Im Rücken der deutschen Truppen wurde fieberhaft gebaut. Ein ›Ostwall‹ sollte nach dem Willen Hitlers entstehen, die sogenannte ›Pantherlinie‹, eine einzigartige Bunkerstellung von der Ostsee bis zum Asowschen Meer. Feldmarschall von Mansteins dringende Forderung, das Donezbecken aufzugeben, um weitere schwere Verluste zu vermeiden, stieß deshalb bei Hitler auf verbissenes Schweigen. Die Front am Donez mußte so lange gehalten werden, bis der ›Ostwall‹ fertig war.
Es war Wahnsinn, Hunderttausende zu opfern, um im Hinterland neue Befestigungen zu bauen und Auffangstellungen zu errichten. Wiederum regierte das Prinzip des verlangsamten Untergangs – wie es der Welt zum erstenmal in Stalingrad vorgeführt worden war.
Am 22. August wurde Charkow geräumt. Manstein sah keine andere Möglichkeit, seine Armeen zu retten. Jubelnd zogen die Rotarmisten von Konjews Steppenfront in die Stadt, von der aus Kellern und Löchern kriechenden Bevölkerung mit Girlanden, Fahnen, Blumen, Umarmungen und Küssen begrüßt. Der große Befestigungsgürtel mitten in der Stadt war verlassen. Die Rotarmisten besetzten ihn und feierten den Sieg, als sei der Krieg bereits gewonnen.
Stella Antonowna hörte von der Eroberung Charkows im Radio. Es wurden auch Tagesbefehle von General Konjew und Marschall Shukow verlesen, die allen Helden dankten. Von einer Nachrichteneinheit, die sich neben dem Dorf in der Steppe niedergelassen hatte, erfuhr Stella alles, was sich an der Front tat.
»Charkow ist frej, Pjotr!« sagte sie eines Abends. »Heute großär Tag für uns! Komm mit! Mußt feiärn mit uns. Bist doch armes, verlätztäs Patriot.«
Und so saß Hesslich wie eine Mumie unter den singenden und saufenden Soldaten, schlürfte Wein durch ein Schilfrohr, das in seinem dicken Mundverband steckte, und wiegte den Oberkörper im Takt des Gesanges. Das war die einzige Art, wie ein grausam gefolterter Mann, der nicht mehr reden und kaum mehr laufen konnte, seiner Begeisterung Ausdruck zu geben vermochte.
Die Rotarmisten bedauerten ihn gebührend, schenkten ihm Speck, Zwiebeln und Zwieback und sogar ein Säckchen mit weißen Bohnen. Und sie erboten sich, ihn und seine Frau ein Stück mitzunehmen auf den Weg nach Charkow, wenn sie wirklich dorthin wollten.
»Wir müssen, liebe Genossen«, sagte Stella Antonowna und streichelte Hesslichs Kopf. »Nur dort wird man Pjotr wieder heilen können, in einer Spezialklinik. Er braucht gute Ärzte, sonst wird er nie wieder sprechen können.«
Am 25. August fuhren sie mit einem Wagen voller Kisten, in denen Handgranaten lagen, nach Charkow. Die deutschen Armeen hatten sich, nachdem sie die Stadt geräumt und bei Kotelwa in einem verzweifelten Gegenangriff die sowjetische 27. Armee zurückgeworfen hatten, auf breiter Front festgebissen. Am weitesten war die sowjetische 40. Armee vorgestoßen; sie stand schon bei Gadjatsch am Psiol, hatte den linken Flügel der Heeresgruppe Süd eingedrückt und machte v. Manstein große Sorgen. Der Marschall wartete, den Psiol als natürliche Grenze im Rücken, noch immer auf Hitlers Erlaubnis, in geordnetem Rückzug eine neue Linie am Dnjepr aufzubauen. Damit wären die Armeen zu retten gewesen, man hätte dann Zeit gehabt, sie wieder aufzufüllen durch frische Leute aus der Heimat und rückkehrende Verwundete. Das riesige Donezbecken hatte keine Bedeutung mehr für den Krieg, es war verloren. Warum noch ein Eckchen davon unter großen Verlusten halten?
Aber Hitler blieb bei seinem Nein. Schon das Wort Rückzug war für ihn eine Provokation. Und wenn schon zurück, dann nur, um in einer festen Stellung wieder die Stoßkraft zu gewinnen, den Russen erneut zurückzutreiben. Aber noch stand die ›Pantherlinie‹ nicht, dieser neue Ostwall. Das Donezbecken mußte gehalten werden!
Charkow war nun zum Hauptsammelplatz der sowjetischen Divisionen geworden. Hier staute sich alles, hier wurden Menschen und Material hineingepumpt, um Mansteins Südflanke eines Tages zu zerreißen und zu überrennen. Lastwagenkolonnen und endlose Güterzüge rollten in die Stadt, nachdem die Bahnstrecke nach Bjelgorod wieder funktionsfähig
Weitere Kostenlose Bücher