Frauenbataillon
werde jeden Deutschen töten, wo ich auch einen treffe, bis an mein Lebensende!«
Die Sache mit dem Trefferbuch war Stella Antonowna eingefallen, als das Dorf bereits außerhalb des Kampfgeschehens lag. Sie kroch von Hesslich weg und stemmte vorsichtig den Holzdeckel hoch.
»Bleib hier«, sagte Hesslich leise. »Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Er dauert noch hundert Jahre für uns …«
»Ich muß läggän falsche Spur.«
»Später, Stella!«
»Nix spätärr! Jätzt.« Sie schob den Holzdeckel weg, stemmte sich hoch und blieb, den Oberkörper über den Rand gelegt, auf dem Holzboden liegen. Das Haus brannte nicht, nur der Rest des Daches war noch eingestürzt, und zum Garten hin fehlte die ganze Wand. »Ich muß wägwärfen Träffärbuch. Nix mähr Korolenkaja.«
»Dein Abschußbuch? Wie viele – Treffer hast du?«
Sie zögerte, lauschte angestrengt auf die Geräusche um sich herum und antwortete dann: »349.«
»Alles Kopfschüsse?«
»Zähllä nur Kopfschüsse. Und du?«
»Gegen dich bin ich ein armseliger Stümper. Nur 169.«
»Sind 169 zuviell! Warren mejne Brüdär.«
»Und 349 meine Kameraden, Stella.«
»Krieg von euch! Nix wir!« Sie schob sich vollends aus dem Kellerloch, kroch über die Trümmer nach draußen und sah, daß die deutschen Panzer sich zurückgezogen hatten. Drei von ihnen brannten noch. Im beginnenden Morgengrauen, im fahlen Licht, das über der Steppe lag, sah sie, wie sowjetische Pak nach vorn preschte, und seitlich des Dorfes ritt eine Kavallerieabteilung im vollen Galopp vorüber.
Sie holte ihr Trefferbuch aus der Tasche, blätterte die Seiten noch einmal durch und las die Eintragungen. Jedes Datum war ein ausgelöschtes deutsches Schicksal, jedes Datum für sie, die Russin, eine stolze Zahl, ein Beweis ihres Mutes und Könnens, ihrer Heimatliebe.
Mit geschlossenen Augen zerriß sie die Seiten und warf sie in einen Granattrichter, nur ein paar Meter entfernt vom Jeep, den ein deutsches MG inzwischen noch mehr durchlöchert hatte. Als sie ihr Trefferbuch zerrissen hatte, war's ihr gewesen, als fetze sie Stück für Stück ihres bisherigen Lebens aus sich heraus. Niemand konnte ermessen, was dieses kleine Buch für sie bedeutet hatte; es war ihre Welt, die sie zerstörte, die große vaterländische Welt der Patriotin Korolenkaja.
Nach wenigen Minuten kam sie zurück zu Hesslich, kroch an ihn heran wie eine ängstliche kleine Katze und begann leise zu weinen. Er hörte es mit Erstaunen, und in der einfallenden Morgendämmerung sah er, daß Stellas Gesicht naß von Tränen war.
»Was ist los …?« fragte er. »Hast du Schmerzen?«
»Nein.« Sie blickte in sein vor Staub und Blut fast unkenntlich gewordenes Gesicht und legte beide Hände darüber, weil er so gar nicht aussah wie Pjotr, den sie mehr liebte als Heimat und Himmel. »Ich binn tott.« Und als er über ihre nassen Augen strich und etwas ganz Dummes sagen wollte, nämlich etwa: Du atmest doch noch, da fügte sie hinzu: »Nix mehr Korolenkaja. Nix mähr Namänn.«
Er begriff plötzlich, daß sie ihr Trefferbuch vernichtet und damit aufgehört hatte, das Mädchen zu sein, das noch gestern eine der gefürchtetsten Frauenabteilungen der Roten Armee geführt hatte. Er drückte ihren Kopf an sich und küßte sie und bewegte sich dabei so unglücklich, daß ihm der Schmerz wie glühender Stahl durchs Bein fuhr. Er verlor das Bewußtsein.
Stella Antonowna merkte es erst, als der Arm über ihrer Schulter bleischwer wurde.
Fünf Tage vegetierten sie in dem niedrigen Kartoffelkeller in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Nach dem erneuten Rückzug der deutschen Truppen und dem Vordringen der sowjetischen Bataillone wurde das zerstörte Dorf für einen Tag von einer Troßeinheit besetzt. Aber sie hielt sich nur im Freien auf; in den Trümmern, die noch qualmten und stanken, war es ihnen zu ungemütlich. Es war eine Werkstattkompanie und ein fahrbares Magazin, die der Kampftruppe als Versorgungseinheiten folgten. Ihnen zugeteilt war auch eine Abteilung von Leichtverletzten, die begann, die Steppe von den Toten zu säubern und die sowjetischen Gefallenen ehrenvoll zu beerdigen. Mädchen des Frauenbataillons fanden sie nicht. Sibirzew hatte alle Gefallenen mitgenommen, als die Abteilung Bajda nach rückwärts in Ruhe befohlen wurde. In den Lastwagen, die den Transport der Mädchen übernommen hatten, lagen auch die Toten. Der Ortskommandant von Stara Saltow, wo sie ein paar Tage ausruhen sollten, machte tellergroße Augen,
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