Frauenbataillon
Genosse in Moskau steht hinter ihr? Und warum hätschelt man sie so? Nur, weil sie über vierzig Deutsche abgeschossen hat? Weil sie bei jedem Schuß ins Schwarze trifft? Woher kam sie denn? Weberin hatte sie gelernt, bei ihrem Vater, der einen kleinen Betrieb in Fastow bei Kiew hatte. Die Ukraine war noch in deutscher Hand, aber Stella hatte trotzdem über den Nachrichtendienst der Partisanen erfahren, was inzwischen in ihrem Heimatort geschehen war: Das Haus mit der Weberei war verbrannt, der Vater war verschwunden; anscheinend hatten ihn die Deutschen erschossen und verscharrt. Die Mutter war in die Wälder geflüchtet und dort verschollen. Nur von Stellas Bruder Konstantin wußte man Genaueres: ihn hatte man auf dem Marktplatz von Fastow an einem eilends zusammengezimmerten Galgen aufgehängt, weil er in ohnmächtiger Auflehnung den Unteroffizier, der die Weberei des Vaters anzündete, mit Steinen beworfen hatte.
Zu ihrem Glück hatte sich Stella während des Überfalls der deutschen Truppen auf ihre Heimat gerade in Kiew auf einem Webereilehrgang befunden. Sie flüchtete weiter nach Gomel und trat dort einer Frauenwehrgruppe bei. Dort fiel sie rasch auf, weil ihre Augen die Fähigkeit eines Adlers entwickelten, sobald sie durch ein Zielfernrohr blickten. Schon bei ihrem ersten Einsatz gegen die scheinbar unaufhaltsam vordringenden deutschen Divisionen, die in der Anfangsphase des Krieges in großen Zangenbewegungen die Rote Armee an allen Fronten zerschlugen, erschoß Stella Antonowna mit ihrem Gewehr M 91/30 neunzehn Deutsche mit blitzsauberen Kopfschüssen. In den Sümpfen bei Ogorodnje lag sie sechs Wochen mit drei anderen Mädchen ganz allein einem deutschen Bataillon gegenüber, das man extra zur Säuberung des Gebietes zurückgelassen hatte. Die deutschen Divisionen eroberten Roslawl und Kiew, Brjansk und Orel. Ihre Panzer stießen in Richtung Moskau vor; es war ein Siegeszug ohnegleichen. Und inmitten dieser Schlachten, oft parallel zu den Straßen und den Rollbahnen, auf denen der deutsche Nachschub und die deutschen Divisionen vorrückten, wanderten Stella Antonowna und ihre drei Kameradinnen gen Osten, zurück zu jenen Teilen der Roten Armee, die immer wieder versuchten, sich in die Heimaterde festzukrallen, obwohl sie immer wieder von den Deutschen überrannt wurden.
Sie wanderten vier Monate durch besetzte Gebiete, schliefen in den Wäldern, in Höhlen, in ausgebrannten Häusern und in Granattrichtern, wo sie sich mit Erde bedeckten und über die Köpfe ein Zelttuch legten, auf das sie ebenfalls Erde schoben. Wenn wirklich jemand in diesen Trichter blicken sollte, waren sie unsichtbar – aber hinter der Front interessierte sich ohnehin niemand für ein Granatloch.
Viermal wurden sie von deutschen Streifen überrascht, und viermal löste Stella Antonowna kaltblütig das Problem. Ehe die Deutschen wußten, was sie da zwischen den umgestürzten Bäumen aufgestöbert hatten – es waren junge, hübsche Mädchen, soviel begriffen sie noch, wurden sie schon von den tödlichen Kugeln getroffen. Die Taktik der Mädchen war dabei immer die gleiche: Zwei von ihnen kamen langsam, mit hoch erhobenen Armen, auf die deutschen Soldaten zu. Es war heiß, sie hatten die Blusen bis zum Rockbund aufgeknöpft, und ihr Anblick mußte das Herz jeden Landsers erfreuen, auch wenn es Russinnen waren, denen man, vor allem in den Wäldern, mit Vorsicht gegenübertreten mußte. Die Ablenkung dauerte ein paar Augenblicke lang, aber sie genügten, um Stella und dem anderen Mädchen hinter den Bäumen ein gutes Ziel zu bieten.
Gewissenhaft trug Stella Antonowna ihre Abschüsse in das Trefferbuch ein. Die deutschen Soldaten blieben für ihre Truppe verschollen. Um keine Spuren zu hinterlassen, vor allem, um durch die sauberen Kopfschüsse den Deutschen nicht zu verraten, daß Scharfschützen in ihrem Rücken operierten – was unweigerlich einen großen Alarm ausgelöst hätte –, begruben die Mädchen die Toten sofort und schleiften zur Tarnung Äste über die frischen Gräber.
Als dann der Winter plötzlich hereinbrach und den Vormarsch der Deutschen erstarren ließ, als der Frost mehr Opfer forderte als die Waffen, als Schneestürme und 30 Grad Kälte die auf einen solchen Winter nicht vorbereiteten deutschen Divisionen geradezu lähmten und die sowjetische Führung an ein neues Wunder zu glauben begann, da durchbrachen Stella und eine Kameradin die deutsche Stellung und schlugen sich zu ihren eigenen Truppen durch. Zwei
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