Frauenbataillon
sagte sie laut, mitten in ein Duett hinein. Die Bajda hob den Kopf.
»Wieso fehlt sie?«
»Sie ist draußen bei den Schafen.«
»Den ganzen Tag und nun auch die Nacht über …?«
»Sie wird im Stroh schlafen!« Soja Valentinowna blickte Stella fragend an. »Es kann nichts passiert sein. Es war ein ganz ruhiger Tag! Sie wird gewiß schon schlafen! Geht hin und weckt sie.«
Kaum eine Viertelstunde später kamen sie zurück. Die kräftige Marianka Stepanowna schleppte Schanna auf ihrem Rücken. Lida Iljanowna lief voraus und schrie schon von weitem: »Galina! Schnell, schnell. Sie stirbt! Galina … man hat sie erschossen! Gaaaalina …«
Im Graben herrschte Aufruhr wie in einem zerstörten Ameisenbau. Alles lief durcheinander. Man kam der ächzenden Marianka entgegen, nahm ihr Schanna ab und trug sie im Laufschritt zur Stellung. Miranski und Ugarow stürzten aus ihrem Bunker, die Bajda brüllte Befehle, im Unterstand der Opalinskaja flogen Staffelei und Malkästen in die Ecke und der zusammenklappbare schmale OP-Tisch wurde aufgebaut. Die Metallkiste mit den Instrumenten und Medikamenten wurde herangeschleift, und Galina Ruslanowna riß sich den Malerkittel vom Körper.
Vorsichtig wurde Schanna auf den Tisch gelegt. Sie war bei Bewußtsein, hatte die großen schwarzen Augen weit geöffnet und starrte in die grelle Deckenlampe, die Galina jetzt näher heranzog. Die Bajda stand am Kopfende, hielt Schannas Hände fest und streichelte sie. Nun betrat Stella Antonowna, in den Händen eine zusammengeraffte Zeltplane, den Unterstand, wortlos ließ sie die Zipfel der Plane los. Schannas zertrümmertes Gewehr polterte auf den Boden.
Soja Valentinowna erstarrte, als sei sie urplötzlich vereist. »Alle hinaus!« sagte sie mit gepreßter Stimme. »Alle! Du nicht, Stella! Aber alle anderen raus!«
Sie wartete, bis sie mit Miranski, Ugarow, Stella und der Ärztin allein war, ließ dann Schannas Hände los, bückte sich zu den Gewehrtrümmern und hob einige von ihnen ins Licht. Galina hatte unterdessen den durchgebluteten Verband abgewickelt und die Wunde freigelegt. Es war ein glatter Durchschuß, der Knochen war unverletzt. Die Kugel war hinten wieder herausgetreten und hatte dort ein größeres, rundes Loch hinterlassen. Die Wunde war nicht lebensbedrohend.
Galina beugte sich über Schanna, deren schwarze Augen noch immer zur Decke gerichtet waren und in die Weite blickten, als sähe sie in den Himmel.
»Du wirst weiterleben!« sagte Galina. »An so etwas stirbt man nicht. Ich werde dich gleich betäuben, den Schußkanal säubern und die Wunde neu verbinden. Außerdem bekommst du eine Kochsalzlösung in die Vene. Morgen sieht alles besser aus, glaub mir …«
»Halt!« Die Bajda hob ruckartig die Hand. »Noch keine Betäubung!« Sie kam näher an den Tisch heran und baute sich vor Schanna auf. Miranski schob die Unterlippe vor, Ugarow kratzte sich nervös den Nasenrücken. »Kann sie mich hören, Galina?«
»Aber ja.« Die Ärztin nickte. »Sie ist bei Besinnung, nur sehr schwach …«
»Nicht zu schwach, um Antwort zu geben! Schanna Iwanowna, was ist mit deinem Gewehr?!«
Der Kopf der Babajewa rutschte langsam zur Seite. Hilfesuchend sah sie Soja Valentinowna an.
»Er … er war besser …«, sagte sie leise.
»Du bist einem Deutschen in die Arme gelaufen?«
»Er wartete bei den Schafen auf mich … in der Scheune …«
»Und er hat sofort geschossen?«
Die großen Kinderaugen bettelten. Der Mund zuckte mehrmals.
»Nein …«
Das Gesicht der Bajda wurde hart. »Wer hat zuerst geschossen?«
»Er rief mich an. Stoj! Noch im Sprung habe ich geschossen …«
»Und daneben …«
Schanna schloß die Augen und nickte kaum merklich. In all den vergangenen Stunden hatte sie sich mit Selbstvorwürfen gemartert: Du hast versagt. Schanna Iwanowna, vorgeschlagen zum Suworow-Orden in Bronze, hat versagt. Hat sich ihr Gewehr zerschlagen lassen von einem Deutschen und lebt noch! Wenn Schande eine Säure wäre, so würde sie jetzt Schannas Körper zerfressen.
»Er war schneller …«, erwiderte sie ganz leise.
»Was? Nein, das darf nicht wahr sein!« Die Bajda blickte Schanna böse an. »Er schießt und trifft dich! Und zerschlägt dein Gewehr!«
»Ich wollte … wollte, daß er mich tötet …«, antwortete Schanna mühsam. Galina holte die Infusionsflasche und die Instrumente heraus. Schanna hörte sie klirren. Als sie die Augen öffnete, traf ihr Blick auf Miranski und Ugarow. Foma Igorewitsch starrte sie wie ein
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