Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
fortgeführt und mit großem persönlichen Einsatz politisch gelebt wurde. In ihrem Hauptwerk
Die Arbeiterunion
aus dem Jahr 1843 begründete Tristan das Recht auf Arbeit, gerade auch der Frauen, und entwickelte mit ihren Vorschlägen zur Organisation der Arbeit fünf Jahre vor der Veröffentlichung des
Kommunistischen Manifests
1848 von Karl Marx eine sozialistische Gesellschaftstheorie. Stark beeinflusst waren diese Frühsozialistinnen und Saint-Simonisten auch von Charles Fourier (1772–1837), der in seiner 1808 veröffentlichten
Theorie der vier Bewegungen
bereits einen Maßstab für «das Geheimnis sozialen Glücks» genannt hatte. Danach war «der Grad der weiblichen Emanzipation», die Erweiterung der Rechte der Frauen, die allgemeine Grundlage für sozialen Fortschritt, oder wie Marx und Engels zitierten, «das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation» (MEW II, 208).
Der Sozialphilosoph Claude-Henri Saint-Simon (1760–1825) hatte eine Gesellschaftstheorie des «Industrialismus» entworfen, in der Arbeit im weitesten Sinne die Basis einer Gesellschaft ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sein sollte. Bei der notwendigen Umorganisation der Gesellschaft sollten nicht mehr die parasitären Stände wie der Adel oder Rentiers, sondern die Tätigen («les industriels») tonangebend sein. Erst seine Schüler, insbesondere Prosper Enfantin, entwickelten aus diesen sozialistischen Utopien eine Schule und eine neue «Religion der Liebe», mit der die Befreiung und Gleichberechtigung der Frau und ein neues Moralgesetz gepredigt wurden, das nicht zuletzt sexuelle Befreiung, in der Sprache der Zeit die «Emanzipation des Fleisches», meinte. Dieser Angriff auf die herrschende Moral und ihre Institutionen, insbesondere die Ehe, hat weit über die Grenzen Frankreichs hinaus schockiert. Bezeichnend ist, dass insbesondere in der deutschen Rezeption, z.B. in der Berichterstattung Heinrich Heines in seinen
Briefen aus Paris
, vor allem die «lustige Sinnentummelei» den Gesprächsstoff lieferte.
Gleichzeitig aber hat die Literatur des
Jungen Deutschlands
, einer liberalen Opposition, die wegen ihrer literarischen Kritik an den politischen Verhältnissen oftmals in die Emigration gezwungen wurde (z.B. Heinrich Heine, Ludwig Börne oder Georg Büchner), eine vermittelnde Rolle gespielt. Eine ihrer weiblichen Kultfiguren war
George Sand
, das Pseudonym für Amandine-Aurore-Lucie Gräfin Dudevant (1804–1876), deren zahlreiche Romane auch in deutscher Übersetzung gelesen wurden. Wegen ihrer exzentrischen, jede Konvention missachtenden Lebensweise, in Männerkleidung und Zigarren rauchend, aber auch wegen ihrer vielfältigen Liebesabenteuer avancierte sie zum Prototyp und zugleich zum Schreckbild emanzipierter Weiblichkeit – eine aus Sicht anderer Vorkämpferinnen durchaus ambivalente Modernität. Daneben sorgten aber auch deutsche Schriftstellerinnen im Lesepublikum für Irritation. Anders als die Romantikerinnen, die in ihren Salons die Fesseln weiblicher Individualisierung und Verstandesbildung für sich selbst, als Ausnahmefrauen, zu sprengen versuchten, entdeckten dieSchriftstellerinnen des Vormärz ein weibliches «Wir» und meinten mit ihrer «Emanzipation der Herzen» – so das Konzept einer nicht auf die Konvenienz-Ehe gegründeten Liebe – auch die Geschlechterverhältnisse als gesellschaftliche Verhältnisse verändern zu können. Zu ihnen gehörten Luise Mühlbach, Ida Hahn-Hahn oder Louise Aston und Fanny Lewald. In seiner Literaturgeschichte zur Gegenwart musste Robert Prutz 1858 daher einräumen: «Die Frauen sind eine Macht in der Literatur geworden; gleich den Juden begegnet man ihnen auf Schritt und Tritt … ja auf manchen Gebieten, wie z.B. im Roman, haben sie sogar entschieden die Oberhand» (zit. n. Möhrmann 1977, 2).
In einem ihrer ersten politischen Artikel, der 1843 unter dem Titel «Das Verhältnis der Frauen zum Staate» in den
Sächsischen Vaterlandsblättern
als Antwort auf eine Anfrage des Herausgebers Robert Blum erschien, hatte auch
Louise Otto
(1819–1895) betont: «Die politische Poesie hat die deutschen Frauen aufgeweckt.» Sie bezog sich dabei auf Hoffmann von Fallersleben, Georg Herwegh und andere, die seit 1842 erneut unter scharfer Zensur standen, weil ihre Lieder – so der preußische Innenminister – «Missvergnügen über die bestehende Ordnung der Dinge hervorrufen». Neben Tendenzromanen war somit die Poesie ein verstecktes Ausdrucksmittel, mit dem sich auch
Weitere Kostenlose Bücher