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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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entgegen, Polier Werner stand daneben und blickte finsterst hinab auf einen Schlauch, der sich im Hubtakt einer großen Pumpe blähte und Schwall auf Schwall erdig braunen Wassers in einen Kanalschacht spie. Ich folgte dem Schlauch mit den Augen. Er verschwand durch ein Fenster im Gewölbekeller der alten Anstalt. Ja, Scheiße. »Können Sie mir sagen, wofür wir Sie eigentlich bezahlen?«, blaffte mich Frau Doktor an, sobald sie mich in Hörweite wusste.
    »Um bei der Versicherung zu sparen«, gab ich mühsam beherrscht zurück. Meine Laune hatte einen neuen, gefährlichen Rekordwert auf der nach unten offenen Kryszinski-Skala erreicht.
    »Wie konnte das passieren?«, wandte ich mich an Werner.
    »Irgendjemand hat das Ventil der Hauptwasserleitung zur alten Anstalt aufgedreht. Drinnen die Anschlüsse sind natürlich alle schon lange demontiert, also ist der Keller vollgelaufen.«
    »Und wenn Sie auf Ihren Runden auch nur ein bisschen die Augen aufgehalten hätten, wäre das nicht passiert«, meldete sich Frau Doktor wieder zu Wort. »Als ich meine Schicht beendet habe, war der Keller noch trocken«, entgegnete ich so ruhig wie möglich und fragte mich derweil, was ich Menden jetzt erzählen sollte. Spuren zu besichtigen gab es ja nun keine mehr.
    »Das würde ich an Ihrer Stelle auch behaupten«, schnappte Frau Marx, und ich fuhr herum und gab ihr einen Tritt ins Kreuz, der sie mitsamt ihrem Rollstuhl in den Kanalschacht schickte.
    Nein, Scherz, mal wieder. Ich drehte mich langsam zu ihr um, ging in die Hocke, sah ihr in die Augen und sagte: »Bemerkungen wie diese sind momentan wenig hilfreich, Frau Doktor, finden Sie nicht auch?« Es verschlug ihr die Sprache, und war damit fast so befriedigend, wie sie tatsächlich in den Schacht geschubst zu haben. Wenn auch, wie gesagt, nur fast. Ich richtete mich auf und fragte Werner, ob bei den Diebstählen der letzten Zeit auch Klebeband weggekommen sei.
    »Hä? Klebeband? Kristof, kannst du nicht sehen, dass ich zurzeit andere Sorgen habe? Wenn wir Pech haben, ist auch noch das Fundament vom neuen Anbau unterspült.«
    »Wenn du willst, dass das hier aufhört, solltest du mich unterstützen.«
    »Ah, verdammt. Komm mit.«
    Wir überließen Frau Doktor einem Praktikanten und gingen in Werners Baubude, mit dem unvermeidlichen, leeren Bierkasten in der Ecke, der Thermoskanne nebst Bildzeitung auf dem Klapptisch in der Mitte und einem Wust von Bauzeichnungen auf dem Zeichentisch an der Seite. Ein verbeulter Stahlspind an der Stirnwand rundete das Ensemble ab.
    »Klebeband, Klebeband, Klebeband«, murmelte Werner, trat an den Spind, zog einen Aktenordner heraus und warf ihn auf den Tisch. »Muss ich nachsehen«, sagte er zu mir. »Musste heutzutage ja alles auflisten, minutiös, mit Artikelnummer und allem Pipapo, oder die Versicherungen rücken keinen Cent mehr raus. Ich bewege hier mittlerweile mehr Papier als ein Sesselfurzer vom Amt. Früher, da haste als Polier noch mitgemauert und eingeschalt, doch heute ist es nur noch Papier, Papier, Papier.«
    Er schlug die Akte auf, leckte einen Finger an und ging die Blätter durch. »Lass ma sehen … Ka, Ka, Ka … Kanalklinker. Kristof, du wirst es nicht glauben, aber die haben eine ganze Palette Kanalklinker mitgehen lassen! Da, sieh selbst…« Werner zeigte aus dem Fenster auf den leeren Platz neben einem Stapel glatter, schmaler Ziegelsteine in unterschiedlichen Formen, viele davon halb- oder viertelgerundet, Innen- und Außenecken. »Wer klaut Kanalziegel, Kristof? Wozu? Um sich seinen eigenen, privaten Meter Abwasserkanal auszumauern?«
    »Vielleicht für ‘n Weinkeller«, mutmaßte ich, wozu Werner nur grunzte und sich dann wieder in seine Listen vertiefte.
    »Hier isset«, sagte er schließlich. »Den Installateuren ist tatsächlich ein kompletter Karton Gewebeband weggekommen.«
    »Welche Farbe?«
    »Na, jetzt reicht’s aber. Da müsse se schon selber fragen.«
     
    Menden wirkte alles andere als begeistert. »Dafür haben Sie mich hier herausgelotst? Für einen voll gelaufenen Keller? Und eine Theorie über Klebeband?« Nur drei Minuten nach dem Gespräch mit Werner hatte ich die Antwort der Installateure gehabt: Das weggekommene Klebeband war tatsächlich matt silbergrau, und ja, exakt fünfzig Millimeter breit. »Damit deutet alles daraufhin, dass die Diebstähle, Zerstörungen und Misshandlungen in engem Zusammenhang stehen.«
    Menden sah mich an, wie man ein unverständliches Zeugs babbelndes Kind ansieht, dem man

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