Freakshow
allem Bemühen zum Trotz nicht die geringste Sympathie entgegenbringt.
»Ich muss das erklären«, sagte ich, und er sah drein, als ob er gehofft hätte, dass ich einfach weglaufe und nicht wiederkomme.
Tsä. Scheiß drauf. Ungeachtet Mendens Skepsis war das doch mein Verdienst, zwei Ermittlungen zu einer verdichtet zu haben. Jetzt musste ich nur noch beweisen, dass die verdammten Siedler hinter allem steckten, dann hätte ich zumindest schon mal den alten Grantier aus den Haaren und konnte mich endlich um Wichtigeres kümmern.
Mit einiger Entschlossenheit knallte ich die Fahrertür ins Schloss, startete den Motor, beschleunigte aus dem Village heraus und fädelte mich in den Verkehr auf der B8. Nach nur etwa fünfhundert Metern bog ich schon wieder ab, folgte dem Schild Richtung >Jacobus-von-Molay-Siedlung< eine noch recht junge Platanenallee hinunter. Felder, Wiesen, Pferde, Kühe, dann, abrupt, Häuserreihen. Zwei Reihen einander die Stirn bietender Reihenhäuser, Bauform >Straßendorf<. Ein hohes, ungewöhnlich stabiles Stahltor bildete den Eingang zur Siedlung. Es stand weit offen, doch ging eine sublime Latenz von seinem reinen Vorhandensein aus. Es stand weit offen, aber nur so lange, bis jemand entschied, es zu schließen. Und was wäre dann? Kein Zaun, keinerlei seitliche Absperrung würde einen daran hindern, das Tor einfach zu umgehen. Ich fragte mich, ob dies wohl eine Kostprobe des Denkens Jacobus von Molays darstellen sollte.
Kurz hinter dem Tor gabelte sich die Fahrbahn, machte Platz für eine Verkehrsinsel, in deren Mitte der übliche Langhaarige in gewohnter Duldsamkeit von seinem Kreuz hing, auch wenn dieses hier um ein vierspeichiges Rad in seinem Rücken ergänzt worden war. Ganz so, als habe man den Verurteilten erst noch gerädert, bevor man ihn ans Kreuz nagelte. Eine etwas bizarre Fantasie, aber manchen kann das Leiden ihrer mythologischen Vorbilder ja gar nicht weit genug gehen. Ich wäre vorbeigefahren, da fiel mein Blick auf den Fuß des Kreuzes. Mit einem kurzen Quietschen der Reifen stoppte ich. Stieg aus. Obwohl die Skulptur in ihrer ganzen bronzenen Patina recht angejahrt wirkte, machte ihr Fundament einen durch und durch frischgemauerten Eindruck. Eine solide Sache. Kniehoch, die hellgrauen Mörtelfugen noch völlig unvermoost zwischen den leuchtend roten Ziegeln. Mit Rundungen an allen Ecken. Kanalklinker, wie man ihn sich typischer nicht wünschen könnte.
Jemand trat neben mich und räusperte sich, bevor er mich mit »Haben Sie das Schild nicht gesehen?« von der Seite anranzte. Vorwurfsvoll. Kann ich drauf. »Doch«, antwortete ich deshalb, riss mich von der Betrachtung des Klinkers los und sah ihn an. Kleiner als ich, dicker als ich, älter als ich, mit einem Vollbart, wie ich ihn zuletzt an einer schubkarrenschiebenden Plastikfigur in einem Vorgarten gesehen hatte. »Warum?« In all seiner Zauselbärtigkeit hatte er etwas unmissverständlich Offiziöses an sich, ohne dass ich sagen konnte, wieso. Vielleicht war es der Stehkragen, den er zu seinem dunkelbraunen Overall trug. Vielleicht war es das Kreuz mit Rad, das an einer Kette von seinem Hals baumelte. Vielleicht war es nur seine steife, um Größe bemühte, gleichzeitig herausfordernde Haltung. »Dies ist eine verkehrsberuhigte Zone. Alles über Schrittgeschwindigkeit ist hier verboten. Sie aber rasen mit quietschenden Reifen herum.«
Eine indignierte Röte gab, zusammen mit einer Unzahl von Schweißperlen, seinen Zügen etwas Fiebriges. »Ach wissen Sie, ich fahre schon mein ganzes Leben so«, verriet ich ihm und versank erneut in Betrachtung des Fundamentblocks. »Das kriegt man irgendwann nicht mehr aus dem System.«
»Es ist nie zu spät, sich noch zu bessern«, sagte er mit der Festigkeit tiefer Überzeugung. »Bei mir schon«, beharrte ich, was ihn leicht ins Tänzeln brachte vor mühsam unterdrückter Wut. »Hübsche Maurerarbeit«, zwang ich ihm ein neues Thema auf.
»Eine Spende«, sagte er knapp.
»Von wem?«, fragte ich, und er verschränkte die Arme vor der Brust. Körpersprache. Manchmal stimmt sie mich regelrecht heiter. »Was geht Sie das an?«
»Das da ist Kanalklinker, wie er von der Baustelle der Forensik geklaut wurde. Und ich möchte gerne wissen, von wem.«
»Diese Baustelle ist des Teufels.«
»Wenn, ist es dann nicht etwas gewagt, ausgerechnet den Leibhaftigen zu bestehlen?« Die Gedankenwelt der Gläubigen hat für mich von jeher etwas Verwirrendes. »Wer das Böse bekämpft, darf keine
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