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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Furcht in sich tragen.«
    »Trotzdem …«, meinte ich.
    »Wir sind Siedler.« Er sagte das mit einem geradezu heroischen Unterton, ganz so, als ob wir uns inmitten unwirtlichster Einöde befänden, und nicht die B8 in Hörweite hätten, den Rhein in Sichtweite, die Einflugschneise vom Flughafen Düsseldorf über unseren Köpfen und ein mit dem Rest Europas verbundenes Straßennetz direkt unter unseren Füßen. »Wir haben das alles hier erschaffen.« Mit ausladender Geste verwies er auf die beiden schnurgeraden Reihen praktisch ununterscheidbarer Einfamilienhäuser, als ob es sich bei diesem Manifest des Willens zur Uniformität um so was wie das achte Weltwunder handelte. »Mit unseren eigenen Händen.« Er schüttelte eine kleine, rosige, sommersprossige Faust, der man sofort ansah, dass sie in ihrem Leben noch keine härtere Arbeit verrichtet hatte, als kleine Stempel in weiche Kissen zu drücken, oder, wenn ich den Stehkragen richtig deutete, Oblaten auf vorgestreckte Zungen zu legen. »Und wir werden nicht zulassen, dass man in unserer direkten Nachbarschaft abartige Verbrecher einquartiert.«
    Aus reinem Interesse fragte ich ihn, was er dagegen zu unternehmen gedächte.
    »Wir werden kämpfen.«
    »Mit wirkmächtigen Pamphleten«, riet ich.
    »Nein, mit Taten. Nicht umsonst ist Jacobus von Molay unser Vorbild.«
    »Wer? Nie gehört«, gab ich zu.
    »Jacobus von Molay war ein Tempelritter zur Zeit der Kreuzzüge, der für seine Überzeugungen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Wir von der Glaubensgemeinschaft der Zeugen des Martyriums Christi fühlen uns den Templern nahe.«
    »Was denn, Befreiung Jerusalems von den Ungläubigen und Erleichterung derselben um ihre irdischen Werte?«
    »In erster Linie schätzen wir die Distanz der Templer zur korrupten und von sexueller Abartigkeit unterwanderten katholischen Kirche.«
    »Ja, da ist was dran«, stimmte ich zu. »Von den lächerlichen Kostümierungen mal ganz abgesehen. Ich meine - bin ich der Einzige, dem auffällt, was für einen absolut grotesken Modestil der Papst und seine Kollegen pflegen? Angefangen bei den Hüten? Gegen so manchen Kopfputz von unserm Benedikt tritt ja selbst die Queen beim Pferderennen geradezu zurückhaltend auf. Und dann diese Kaftane … Könnten Sie sich vorstellen, so herumzu…«
    Ich brach ab. Er könnte, ich sah es ihm an, und würde, gesetzt den Fall, man ließe, oder, besser noch, bäte ihn darum.
    »Kommen bei Ihren Zeugen also nicht vor, sexuelle Abartigkeiten?«, kehrte ich zum Thema zurück.
    »Nein«, grollte er und trotzte meinem Blick. Mal abgesehen von der Wut, in die ihn meine Haltung versetzte, wirkte er harmlos genug, wenn da nicht weit hinten in seinen Augen so ein Glühen gewesen wäre, wie eine Zigarettenkippe im trockenen Unterholz, drauf und dran und durchaus willens, sich zum Flächenbrand auszubreiten.
    »Sehen Sie das Tor da vorn? Wir schließen es nachts. Lächerlich, eigentlich, denn es ist so einfach zu umgehen, nicht wahr? Und trotzdem: Gerade damit symbolisiert es die Freiheit der Entscheidung in unserer Gemeinde, und gleichzeitig auch die Kraft unseres Glaubens. Wir schließen dieses Tor, so wie wir unsere Herzen verschließen vor der Verderblichkeit und den Versuchungen einer am Strudel des Abgrunds stehenden Welt.«
    »Ah, ja«, sagte ich und nickte verstehend. »Sex, Drogen und Rock ‘n’ Roll. Die werden uns noch alle ins Grab bringen.« Dann streifte mich ein anderer Gedanke. »Sie wollen damit sagen, dass nachts niemand mehr die Siedlung verlässt?«
    »Die Nacht gehört der Einkehr und dem Gebet.« Das war jetzt eine mächtig ausweichende Antwort. Gerade hatte er noch so halb und halb zugegeben, den Kanalklinker geklaut zu haben, jetzt versuchte er mir weiszumachen, die Brocken seien nächtens von allein hierhin geflogen.
    Von der gegenüberliegenden Straßenseite gesellte sich ein weiterer Zeuge zu uns, deutlich jünger, um einiges größer, eine Gartenhacke über der Schulter. Nicht dass es hier irgendetwas umzuhacken gegeben hätte. Trotzdem. Jetzt waren es schon zwei, in braunen Overalls, bärtig wie ZZ Top, Ketten mit Kreuz und Rad um die Hälse.
    Nur um sie zu nadeln, fragte ich sie, ob sie ein Paar seien.
    Viel fehlte nicht, und ich hätte die Hacke zu schmecken gekriegt.
    »Sie hören nicht zu«, bellte mich der Erste an. »Ich meine ja nur, wegen des Partnerlooks«, erklärte ich hastig. »Da kann man schon auf Ideen kommen.«
    »Wir Zeugen distanzieren uns durch einheitliche,

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