Freakshow
Scuzzi an, dann nach vorn. Ein Motorroller kam die Ringstraße herunter, mit Jacob in seiner grünen Latzhose am Lenker. An ihn geschmiegt seine Freundin Johanna, wie er behelmt, doch davon abgesehen nur sehr leicht bekleidet, mit demselben rückenfreien Top, das sie auch - wie mir ruckartig klar wurde - auch in der Nacht unserer ersten Begegnung im Uhlenhorst getragen hatte. Begleitet wurden die beiden, ebenfalls wie in der ersten Nacht, von einem zweiten Roller mit einem vierschrötigen Kerl, der mir zunickte und den ich erst auf dem Umweg über seine ungelenk tätowierten Schwabbelarme als Priscilla erkannte. Und wieder saß hinter ihr ein … Kind. Ein Mädchen in weißer Bluse, Schottenrock und Kniestrümpfen. Mit dem hochfrequenten Plärren ihrer getunten Motoren jagten die beiden Roller davon. Ich packte den Schlüssel, der Toyota saugte mit hohlem Röcheln Gemisch durch seine vier Vergaser, und die Hinterreifen jaulten auf.
»So viel zum Thema Schlaf«, meinte Scuzzi säuerlich. »Hast du das Kind gesehen?«, blaffte ich ihn an, riss das Auto mit der Handbremse herum und beschleunigte erneut. »Hinten auf dem zweiten Scooter?«
»Das ist doch kein Kind«, meinte Scuzzi. »Das ist Lil Bow Wow, eine Bewohnerin hier im Village.«
»Wer?« Ich trat das Gas mit der Hacke, waren die Roller doch schon außer Sicht.
»Lil Bow Wow. Ich hab sie so genannt. Nach diesem kleinen Rapper, der das Video zusammen mit Snoop Dogg …«
»Ich will wissen, wer sie ist«, unterbrach ich ihn. »Eine Kleinwüchsige, ganz bezaubernd. Leider taubstumm, äußert sich nur in so was wie einem Bellen. Daher mein Einfall, sie …«
»Ja, ja«, sagte ich und stoppte an der Einmündung zur B8. Sah nach links, sah nach rechts. Keine Roller. Sie hatten mich abgehängt.
Doch, ging mir auf, ich wusste ja, wo sie hin wollten …
»Gib mir meine Uniform zurück.«
»Jetzt? Hier?«, fragte Scuzzi mit einem Unterton von Bockigkeit.
Mürrisch wendete ich und fuhr zurück zum Apartment.
»Wofür brauchst du die Uniform überhaupt?«, wollte Scuzzi wissen und stieg aus der Hose, während ich ein frisches Hemd mit halbem Arm vom Bügel zog. »Es ist doch noch nicht mal Abend … Aah«, machte er dann. »Ich verstehe.« Er reichte mir die Hose, hielt sie dann aber noch einen Augenblick fest und sah mich ernst an. »Sie ist sechzehn, Kristof. Und sie verarscht dich.«
»Sagst du«, gab ich zurück, warf die Hose über eine Stuhllehne und stieg aus meinem Overall, griff nach dem frischen Uniformhemd und überlegte es mir abrupt anders. Dusche. Erst mal eine Dusche. »Was, glaubst du, was sie von dir will?«
»Ach, vergiss das. Es geht mir um etwas anderes. Ich habe, was Menden meine >Klebeband-Theorie< nennt. Und die besagt, dass die Halbwüchsigen hinter den Sabotageakten, den Diebstählen von Baumaterial und den Misshandlungen von Alfred stecken. Ich werde sie zur Rede stellen. Und mal schauen, was passiert.«
»Wofür brauchst du dann die Uniform?« Hm. Ich drehte das Wasser auf, stieg in die Duschkabine, stellte mich unter den Strahl, seifte mich ein. Scuzzi hatte recht. Streng genommen, brauchte ich die Uniform nicht. Trotzdem …
»Du willst sie immer noch ficken, richtig?«, rief Scuzzi über das Rauschen der Dusche hinweg.
»Nun«, machte ich gedehnt, drehte das Wasser ab. »Sie hat mir zufällig anvertraut, dass sie noch nie …«
Scuzzi reichte mir ein Handtuch. »Kristof, ich habe das Gefühl, dass du überhaupt nicht weißt, worauf du dich einlässt.«
Ich winkte nur ab und rubbelte mir den Balg trocken. »Sobald den Kids klar wird, dass ich über alles Bescheid weiß, kann ich vielleicht einen Deal mit ihnen aushandeln. Keine Anzeige, gesetzt den Fall, sie hören sofort auf mit dem Blödsinn.«
»Das kannst du vergessen«, sagte Scuzzi heftig. Ich blickte ihn fragend an.
»Du weißt, dass Johanna und Jacob zu den Zeugen gehören?« Er hielt seinen geschienten Finger vorsichtig mit der Rechten und setzte sich in den einzigen Sessel im Raum. »Was?«, fragte ich.
»Zu den Zeugen des Martyriums Christi? Diesen Fundamentalisten, die alles tun würden, um den Bau der Forensik zu stoppen?«
»Was?«, fragte ich noch mal.
»Jacob und Johanna, nach Jacobus von Molay und Johanna von Orleans.«
Wie die Siedlung, wie die Allee. Und ich brauchte Scuzzi, um mich mit der Nase draufzudrücken. Weia. »Zauberhafte Wahl der Namenspatrone«, meinte er. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass beide auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden
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