Freakshow
völlig unbeeindruckt. Und filmte weiter. So, jetzt schmier ich ihr eine, dachte ich und machte einen Schritt auf sie zu.
»Wachmann der Stiftung attackiert Gegner der Forensik«, sagte Priscilla, griff sich ins Genick und zog - ohne eine Sekunde das Objektiv ihrer Kamera von mir zu nehmen - ihren verfluchten Degen hervor, was meinen Vorwärtsdrang bremste, wenn auch nicht meine Wut. »Pass auf«, knurrte ich, maß aus dem Augenwinkel heraus einen am Boden liegenden Ast, ein ordentliches, ausgebleichtes Stück Treibholz, gerade lang, gerade dick genug, »du hältst jetzt sofort deine Kamera irgendwo anders hin, oder …«
»Oder?« Sie fuchtelte linkshändig mit dem Degen vor meiner Nase herum. »Oder?«, wiederholte sie herausfordernd.
Charly, Präsident der Stormfuckers und ein Meister in der Demütigung von Opponenten, hat mir mal etwas sehr Kluges zu Drohungen gesagt. >Drohe niemals etwas an, das du nicht auch wirklich bereit bist umzusetzen - du verlierst sonst das Gesicht - und werde nie spezifisch. Oder du verlierst das Überraschungsmoment.< »Oder ich lehre dich eine komplett neue Form von Schmerz«, sagte ich.
»Ha, das war mal was.« Sie nahm Degen und Kamera gleichzeitig runter, wandte sich an Johanna und Jacob. »Habt ihr das gehört?«, fragte sie, auf eine bittere Art und Weise amüsiert. »Eine neue Form von Schmerz.«
»Da hat er sich aber was vorgenommen«, meinte Jacob, bequem rücklings ausgestreckt mit dem Genick auf einem zusammengerollten Handtuch, Johanna an ihn geschmiegt, den Kopf auf seinem Bauch. Ich verstand nicht, was meine Laune nicht gerade verbesserte. »Was soll das heißen?«, fragte ich. »Zeig’s ihm«, sagte Johanna, ohne den Kopf zu heben. »Och, nee«, widersprach Priscilla, ließ aber Kamera und Degen weiter sinken.
»Na komm, nur ein Mal«, bat Jacob. »Nur für uns.« Was sollte sie mir zeigen? Irgendeine asiatische Kampftechnik mit viel Gefuchtel und Geschrei? Ich war entschlossen, mir den Treibholzknüppel zu schnappen, sobald sie auch nur eine Grundstellung einnahm.
»Nicht schon wieder«, maulte sie stattdessen, legte die Kamera auf einem Stein der Uferbefestigung ab und schob den Degen vorsichtig zurück in seine längs über ihr Rückgrat verlaufende Scheide. »Komm, wir wollen sehen, ob er umkippt«, sagte Jacob. »Ich wette, dass nicht«, sagte Johanna. »Das ist nicht gut für mich«, murrte Priscilla, kramte in den Hosentaschen ihrer Baggys herum und zog etwas Kleines, in Klarsichtfolie Verpacktes hervor. Im ersten Moment dachte ich, es wäre ein Bonbon. Im nächsten nicht mehr. Es war eine Kanüle, die Nadel einer Injektionsspritze. Priscilla betrachtete sie zögernd. »Na komm, tut doch nicht weh«, lockte Jacob, und Johanna gibbelte.
»Na gut.« Priscilla riss die Folie ab, sah mich an - ich stand sprungbereit - nahm das Plastikende der Kanüle zwischen Daumen und Zeigefinger, seufzte, und rammte sich die Nadel tief den linken Augapfel. Mir gaben die Knie nach, ich taumelte, fiel hart mit dem Arsch in den Sand.
»Aua«, sagte Priscilla gelangweilt, wie etwas, das man sagen muss, und zog die Kanüle wieder heraus. Ich hörte Krähen krächzen, Amseln zwitschern den Stampfrhythmus eines Schiffsdiesels auf dem Weg stromauf, das Gurgeln und Verzischen von Wellen am Sandstrand der Bucht. Erst nach mehrfachem heftigem Zwinkern wich das Schwarz vor meinen Augen, und der Tag kehrte zurück.
»Da, er ist nicht ohnmächtig geworden«, stellte Johanna zufrieden fest.
»Aber umgekippt«, beharrte Jacob. Ich sah sie an, ihre Sonnenbrillen sahen zurück. Weiße Beißer strahlten mich an. Aus irgendeinem Grund ist man bereit, gut aussehenden Menschen einen größeren Vertrauensvorschuss zu gewähren als Hässlichen. Idiotie, das.
»Priscilla hat Analgesie«, erklärte Jacob. »Sie fühlt keinen Schmerz. Irre, oder?«
»Keine Kälte, keine Hitze, gar nichts«, steuerte Johanna mit Eifer bei.
Na, das erklärte, warum sie trotz der schwärenden Brandblasen auf ihrem Kopf weiterhin barhäuptig in der Sonne herumlief.
Ich sah zu Priscilla. »Warum lässt du dich zu so einem Irrsinn anstacheln?«, fragte ich.
Sie lächelte schmal und wissend, wie jemand mit einem Geheimnis, warf den Geschwistern einen flüchtigen, Beifall heischenden Blick zu, und ich begriff. Ich begriff diese aus einem groben Klotz gehauene Kreatur und ihr vergebliches Sehnen, dass die reine Nähe zu schönen Menschen etwas von deren Grazie, deren Glück auf sie abfärben würde. Noch so eine
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