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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Haupthauses kam eine Frau, der der braune Overall um die Gliedmaßen schlotterte. Sie trug ihr ehemals blondes, nun in einem unglücklichen Zwischenstadium zwischen blond und grau belassenes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ponyfransen hingen ihr vorn bis fast in die Augen, die mich blau, aber seltsam stumpf musterten. Sie machte auf mich den Eindruck einer ehemaligen Schönheit, die sich irgendwann etwas Ansteckendes gefangen hatte, religiösen Wahn etwa, der ihr seitdem das Blut aus den Adern gesaugt und lange, senkrechte, alles und jeden missbilligende Falten ins Gesicht gegraben hatte. Sie hatte zwar heute keinen mit Benzin gefüllten Eimer dabei, führte dafür aber einen geduckten, permanent an seiner Leine zerrenden Rottweiler mit sich, mit Leichtigkeit der Magerste dieses Trios. Ohren abgeschnitten, Zähne gefletscht, unaufhörlich kehlig knurrend, musterte er mich mit einer kaum zu bändigenden Beißwut. Hunger, wahrscheinlich. Sie stellte sich neben ihren Mann, der noch nicht damit fertig war, mir seine Ansichten anzuvertrauen.
    »Bevor die hier, direkt vor unseren Augen eine Luxusherberge für irre Mörder und Kinderschänder, für Vergewaltiger und andere Tiere bauen«, zischte er, fast der Stimme beraubt vor unterdrückter Wut, »geschieht ein Unglück. Wir von den Zeugen des Martyriums Christi lassen uns das nicht bieten.«
    »Und Gott ist dabei auf unserer Seite«, steuerte sie bei. »Da würd ich mich nicht drauf verlassen«, sagte ich. »Auch Ihnen werden wir noch Respekt beibringen«, prophezeite Grotzki düster.
    »Vielleicht muss erst Blut fließen, damit man uns anhört«, sagte seine Frau nicht ohne Pathos. Ich kam hier nicht weiter und wollte mich verabschieden, doch sie waren immer noch nicht fertig. »Die Triebhaftigkeit des Menschen ist außer Kontrolle geraten«, presste Grotzki zwischen den Zähnen hervor. »Und wir befinden uns im Krieg dagegen.« Und Kryszinski mal wieder mittenmang. Ist schon erstaunlich, wie ich das immer hinkriege. Ich drehte den Motor hoch, packte das Gewehr, um es aus dem Fenster fallen zu lassen. »Vielleicht muss es wirklich erst Tote geben, bevor die Welt begreift, wie ernst es uns ist«, gab Grotzki mir noch mit auf den Weg.
    Ich sah ihn an, in sein eines, auf mich gerichtetes, loderndes Auge, begriff, und beschloss, die Schrot noch eine Weile zu behalten.
     
    »Überleg’s dir noch mal«, sagte ich zu Scuzzi und schlüpfte wieder in meinen schwarzen Overall. »Stimmt schon, eigentlich bin ich krankgeschrieben«, meinte er, stieg aber trotzdem in die Uniformhose. »Doch was wird dann aus deinem Alibi?«
    »Ich will dich nur warnen. Die Siedler drehen durch, sprechen von Krieg.«
    Scuzzi nahm ein paar Tropfen, rückte seine Krawatte zurecht. »Jeder Job hat seine Risiken«, meinte er gelassen.
    »Versprich mir, dass du dich aus allem raushältst.«
    »Definitiv«, sagte er und blickte auf seine Armbanduhr. »Hm. Halbe Stunde noch.« Er setzte sich an den Tisch und kramte diverse Beutelchen aus der Schublade. Sollte ihm wirklich etwas zustoßen, war er bis dahin zumindest gut anästhesiert, dachte ich und ließ ihn einigermaßen beruhigt zurück.
    Gewitter grummelten im Westen, Wetterleuchten zuckte über den Himmel, aber im Village stand die Abendluft, feucht, warm und träge. Nichts deutete auf einen baldigen Guss oder sonst eine Abkühlung hin. Die Bewohner hockten vor ihren Behausungen oder drinnen vor ihren Fernsehern, manche grüßten, andere ließen es bleiben. Das Personal hatte sich größtenteils in den Feierabend verabschiedet, bald schon würde es ruhig werden, und der Sandmann seine Socke schwingen. Alles war friedlich, bis mir Frau Dr. Marx mit ihrem Rollstuhl beinahe über die Zehen fuhr. »Sind das Ihre Reifenspuren?«, schnauzte sie mich an und deutete anklagend auf das doppelte schwarze U, das meine Hinterreifen bei der jüngsten Handbremswende auf dem Pflaster hinterlassen hatten.
    Ohne bestimmten Grund leugnete ich mit einer selbst mich überraschenden Vehemenz. Sie blickte skeptisch.
    »Ich hatte es schon nicht mehr erwartet«, sagte sie dann etwas milder, »aber so langsam scheinen Sie doch noch Ihren Rhythmus gefunden zu haben.« Mit Mühe bekam ich ein >Hä?< gebremst. Rhythmus? Ich bin weder Musiker noch, weia, Tänzer. Also was schwafelte sie da?
    »Die letzte Nacht war die erste, in der Sie tatsächlich zuverlässig gearbeitet haben.«
    Was? Letzte Nacht? Zuverlässig? Wovon redete …? Da fiel der Groschen.
    »Tja«, sagte ich.

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