Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
steht eindeutig, dass Leon Bergazy mit mir befreundet sein will. Als ich sein Profil aufrufe, grinst mich der Typ auf seinem Titelbild genau so an, wie ich es nach der Party noch in Erinnerung habe. Man sieht ihn an einem Schreibtisch vor einem Laptop sitzen, hinter seinem Ohr klemmt ein Kugelschreiber. Oh Mann ey, total gestellt und künstlich.
Meine spontane Reaktion ist: auf Ignorieren gehen. Aber während meine Finger über den Tasten schweben, überlege ich es mir anders. Erst einmal greife ich zu der Schokolade, die neben mir zwischen den Büchern, Erdkundeordnern und dem Stiftemäppchen liegt, und breche mir einen Riegel ab.
Nachdenken, Merle, nachdenken. Mit deinen spontanen Reaktionen hast du dich schon zu oft ins Chaos manövriert.
Erst einmal abwarten.
Vielleicht ist es von Vorteil, mit Leon in Kontakt zu stehen, zu wissen, wie er per Mail zu erreichen ist, und mitzulesen, was er treibt.
Möglicherweise hilft mir so ein Wissen dabei, mich an ihm zu rächen.
Gegen meine Gewohnheit nehme ich mir eine halbe Stunde Zeit, um über diese Frage nachzudenken. Mir ist es oft genug in der Vergangenheit passiert, dass ich impulsiv auf eine Situation reagiert habe und es hinterher bitter bereut habe. Das soll mit Leon anders laufen. Eine Katastrophe reicht in diesem Fall.
Am Ende entscheide ich mich mit entsetzlichem Herzklopfen für: Freundschaft bestätigen.
Ab diesem Klick kann ich an seiner Pinnwand lesen und die Infos, die er über sich reingestellt hat. Und ich sehe auch, ob er online ist. Ist er aber nicht.
Als Heimatort gibt er an »überall und nirgends«.
Wie originell, haha.
In den Infos über ihn wird deutlich, dass er wegen seines Vaters schon in verschiedenen Metropolen gelebt hat. Offenbar sind er und seine Mutter dem Daddy an seine Einsatzorte gefolgt.
Aber nun wohnt er am Rhein und er schreibt, dass er hoffentlich hier heimisch werden kann. Zu seinen »Gefällt mir«-Angaben gehört zum Beispiel auch die Stadt Köln, neben verschiedenen Bands, TV-Serien, Nachrichtenblättern und journalistischen Verbänden. Nirgendwo auf seiner Seite finde ich einen Hinweis auf die No Limits .
Zu seinen Freunden gehört niemand, den ich kenne – außer Bernd Bergazy, den ich zwar auch nicht kenne, was mir aber die letzte Bestätigung gibt, dass der bekannte Auslandsreporter tatsächlich sein Vater ist. Ich klicke auf die Seite, kann aber nichts lesen – keine offizielle Site, sondern die private des Reporters, die Infos sind nur sichtbar für seine Freunde.
Ich öffne mein eigenes Mailprogramm, kopiere Leons Mail-Adresse und pflege sie in meinem Adressbuch ein. Irgendwann, irgendwie. Ich freue mich auf den Tag, an dem ich eine Mail raushaue, die Leon aus den Strümpfen werfen wird. Wenn ich auch auf der Schulfete wie eine hohle Nuss rüberkam, so werden ihm die Ohren schlackern, wenn ich ihn in einer denkwürdigen Mail nach allen Regeln der Schreibkunst zur Schnecke mache. Ich muss dafür nur in der passenden Stimmung sein, dann kann er sich warm anziehen.
Jetzt ist mir aber erst einmal danach, Lieblingsbruder Paul ausführlich darüber zu informieren, wie wenig meine merkwürdige Beziehung zu Leon – wenn sie überhaupt eine solche ist – mit »verknallt sein« zu tun hat. Nach unserem Chat hat sich in mir das fiese Gefühl festgesetzt, dass Paul mir nicht glaubt und davon ausgeht, dass ich von Leon was will. Das darf auf keinen Fall so bleiben. Weil ich das jetzt sofort regeln und nicht darauf warten möchte, dass ich Paul wieder im Chat begegne, öffne ich eine neue Mail-Vorlage, um Paul zu schreiben. Die Taskleiste im unteren Feld des Laptop-Monitors ist inzwischen gefüllt mit allen möglichen Fenstern – wie immer, wenn ich im Netz unterwegs bin.
Hallo, Lieblingsbruder ☺.
Ich freue mich immer so, dich im Chat zu treffen. Leider viel zu selten. Aber ich verstehe schon, dass du viel unterwegs bist. Und du bist ja nicht in Pennsylvania, um ständig mit deiner Sister zu chatten.
Heute ist mir danach, dir eine lange Mail zu schreiben, weil mir etwas nicht aus dem Kopf geht, das du im letzten Chat geschrieben hast. Du meintest, ich wäre verknallt in Leon, sonst würde ich kein Drama aus der Sache machen.
Ich habe das gleich abgeblockt, weil es mir so abwegig erscheint. Ich glaube, ich hasse diesen Typen eher – was ja auch auf große Gefühle schließen lässt, ne? ☺ Ich hasse es, dass ich mich fast auf nichts anderes mehr konzentrieren kann als darauf, was diese neue Zeitung am Gymi
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