Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
Journalist! Genau daraufhin werde ich jedenfalls jeden seiner Artikel in Zukunft untersuchen: ob er überhaupt einen Funken Talent hat. Und ich werde mich nicht von seinen berühmten Familienmitgliedern beeindrucken lassen.
Ich zum Beispiel habe auch nichts von meinen Eltern geerbt. Jedenfalls ist es mir schon gelungen, das Spaghettiwasser überkochen zu lassen, bevor ich die Nudeln hineinwerfen konnte, und mein Papa war Sternekoch in Buenos Aires, bevor er hier in Köln mit meiner organisatorisch begabten Mutter als Managerin das Catering-Unternehmen aus dem Boden gestampft hat, das sämtliche Großveranstaltungen im näheren Umkreis mit Delikatessen beliefert.
Also – heißt gar nichts, wenn die Eltern Top-Talente sind. Die Kinder können komplett leer ausgehen. Es gibt nichts, worauf sich dieser Leon etwas einbilden könnte.
Gerade will ich mir anschauen, was er in den Medien-Foren postet, da poppt ein neues Fenster auf.
Wer chattet mich da an?
Ah, mein Bruder Paul.
In der Taskleiste erscheint sein voller Name, unter dem er angemeldet ist: Paul Lucas Fernandez. Klingt gut, oder?
Meine beiden Brüder und ich haben alle einen argentinischen Zweitnamen.
Darauf hat mein Papa bestanden, der vor 30 Jahren aus Buenos Aires nach Deutschland ausgewandert ist.
Mama Carmen hat erzählt, dass sie sich eine Zeit lang deswegen in den Haaren lagen. Sie wollte unbedingt schöne deutsche Namen für uns, aber Papa Santiago findet, man müsse auf den ersten Blick erkennen, dass sein südamerikanisches Blut in unseren Adern fließt.
Immerhin, so behauptet Papa gerne grinsend, habe meine Mama Carmen ihn sowieso nur geheiratet, damit sie endlich mit Fernandez den passenden Nachnamen bekommt. Möglicherweise nicht völlig unberechtigt. Der Geburtsname meiner Mutter ist Sauerbier, und wenn Papa sie hochnehmen will, nennt er sie Señorita Sauerbier.
Ich bin sicher, meine argentinische Großmutter – Nana Lucia –, die in Buenos Aires ein Touristenlokal betreibt und Papas einzige Verwandte ist, hat ihm in Bezug auf die Zweitnamen Druck gemacht, dass er sich gegen seine Frau durchsetzt. Schlimm genug für meine temperamentvolle Oma, dass sie uns, ihre Enkelkinder, nur ein- oder zweimal im Jahr sieht. Da sollen wenigstens unsere Namen daran erinnern, wo unsere zweite Heimat ist.
Für Nana Lucia war es ein Weltuntergang, dass Paul sein Auslandsjahr nicht in Buenos Aires, sondern lieber in den Staaten, in Pennsylvania, verbringen wollte.
Mein Zweitname ist übrigens »Julieta« und Hendrik heißt »Lautaro«. Ich finde meinen Namen auch hübsch, nur Hendrik denkt, er habe mit Lautaro die A-Karte erwischt und verschweigt ihn grundsätzlich. Aus meiner Sicht hat er generell die A-Karte, und dies zu Recht, und wenn er schweigt, bin ich die Letzte, die etwas dagegen unternimmt.
Während ich mit Paul stundenlang quasseln könnte. Oder chatten.
Bei ihm in den USA ist es jetzt früher Abend.
Paul: Hi, Sister.
Merle: Hi, Paul! Was geht?
Paul: Alles im grünen Bereich. Er schickt mir einen Grinse-Smiley. Und bei dir?
Merle: Alles im Chaos.
Paul: Nichts Neues, oder?
Merle: Doch. So chaotisch war es noch nie.
Paul: Oh, oh. Erzähl!
Merle: Du zuerst. Haben deine Gasteltern wieder einen Klops gebracht?
Paul und ich chatten mehrmals die Woche, ich bin immer auf dem Laufenden, wie es ihm in den Staaten geht. Eigentlich findet er es chillig in Pennsylvania, aber seine Gasteltern sind ein bisschen spießig und strenggläubig.
Paul: Nö. Die lassen mich jetzt in Ruhe und wollen mich auch nicht mehr mit in die Kirche schleppen. Das läuft alles rund. Aber was genau ist denn bei dir los?
So ist er, mein Bruder Paul. Sogar beim Chatten hat er seine feinen Antennen ausgefahren und checkt, wenn ich von der Rolle bin. Manchmal liegt das daran, dass ich mich häufig vertippe, manchmal daran, dass ich zu schnell antworte … Ich bin sicher, er wird später mal ein weltberühmter Interviewer werden. Sein Traum ist es, Moderator bei einem Musiksender zu werden, und das wird er auch schaffen. Das Jahr im Ausland wird ihm bei seiner Bewerbung sicher helfen. Außerdem beginnt er, sobald er nach Hause kommt, ein Praktikum bei einem der Sender im Kölner MediaPark.
Paul und ich sind die Einzigen aus unserer Familie, die was mit Medien machen. Jetzt mal abgesehen davon, dass meine Eltern Medienstars und die Produzenten mit Futter versorgen.
Auch sonst haben Paul und ich vieles gemeinsam. Allerdings ist er ordentlicher als ich und hat mir, als
Weitere Kostenlose Bücher