Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
ich mich angenommen, weißt du? Ich habe das Gefühl, dass ihr – vor allem du, Merle – mich echt gernhabt, aber sonst … Wenn ich meinen Klassenraum betrete, ist das für mich wie ein Spießrutenlaufen. Alle lachen hinter meinem Rücken. Manchmal will ich gar nicht mehr leben, Merle …«
»Ach du heilige Scheiße«, flüstere ich, rücke mit dem Stuhl ein Stück vor, um beide Arme um Ilona zu legen. »Das klingt übel, Ilona. Wenn ich gewusst hätte, dass du so leidest … Du hast dir hier kaum etwas anmerken lassen, obwohl … na ja ich dachte eben, du bist immer ruhig und in dich gekehrt.«
Ilona schnieft. »Was soll ich tun, Merle? Wie komme ich aus diesem Scheiß raus? Ich hab keinen Bock, die ganze Schulzeit hindurch das Opfer zu sein, verstehst du? Aber ich weiß auch nicht, wie ich mich wehren kann. Wenn ich sage ›Lasst das doch mal‹, dann lachen die nur. Von anderen, die das mithören, kommt überhaupt keine Unterstützung. Ich fühle mich voll allein und ausgeschlossen.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe beim Nachdenken, und plötzlich schießt mir eine Idee durch meinen Kopf wie eine Sternschnuppe.
Mobbing!
DAS Thema!
Ilona ist nicht das einzige Mobbing-Opfer an unserer Schule. Es gibt bestimmt viele, die still vor sich hinleiden – wie Ilona bis gerade noch. Und es gibt die anderen, die Täter, die Anführer, denen mal deutlich vor Augen geführt werden müsste, was sie anrichten. Ein gemurmeltes ›Lasst das doch mal‹ reicht offenbar nicht.
Wer könnte das besser als die Schülerzeitung?
Ich richte mich auf und packe Ilona so temperamentvoll an den Oberarmen, dass sie das Gesicht verzerrt. Ich lockere den Griff. »Oh, sorry, Ilona, aber … Was würdest du davon halten, wenn wir deine Geschichte als Aufmacher in der nächsten Ausgabe der Insight bringen?« Ich fixiere Ilona und bin selbst hingerissen von diesem Einfall. Auf einer zweiten Bahn im Gehirn – der Überholspur – beginne ich bereits zu texten.
»Bist du jetzt völlig bescheuert?«, fährt mich Ilona an und streicht sich die Haare aus der Stirn. »Ich mache mich voll zum Löffel, wenn auch noch in der Zeitung steht, dass manche Leute finden, dass ich aussehe wie ein Elefant. Dann brauche ich hier morgens gar nicht mehr aufzuschlagen.«
»Quark, so nicht!«, rufe ich. »Wir gehen das professionell an. Eine Story, die Hand und Fuß hat. Wir recherchieren über Mobbing, welche Ursachen es hat, wie man sich wehrt, wie man den Tätern gegenübertreten soll, und wir nehmen deine Geschichte als Fallbeispiel. Entweder mit deinem Namen oder anonym, was ich aber weniger prickelnd fände. Ich glaube, du würdest dir Respekt verdienen, wenn du den Mut aufbringen würdest, dich als Mobbing-Opfer zu outen. Wer weiß? Vielleicht treten wir eine Lawine los und es melden sich weitere Leute, die unter Mobbing leiden. Hey, Ilona, wir lösen damit eine Riesenwelle aus und niemand an unserer Schule wird es noch einmal wagen zu mobben, denn alle sind dann sensibilisiert und werden dazwischengehen, wenn sie merken, dass jemand gedisst wird. Verstehst du?« Ich habe mich in Rage geplustert, Ilona klappt der Kiefer herunter, während sie mir zuhört.
Als ich fertig bin, ist in dem Redaktionsraum nur das leise Surren des Kopierers zu hören. Wir starren uns an und ich sehe, wie es hinter Ilonas Stirn arbeitet. Eine Falte bildet sich zwischen ihren Brauen. Dann kneift sie die Augen zusammen, am Ende schnalzt sie, und ein winziges Lächeln zuckt über ihre Lippen. »Vielleicht hast du recht …«, sagt sie.
»Vielleicht?« Ich balanciere immer noch am Rand der Hysterie. Wenn dir das Leben Zitronen gibt, mach Limonade daraus! »Das ist eine Bombe, Ilona! Damit schlagen wir sämtliche Fliegen mit einer Klappe. Wir helfen dir aus deiner beknackten Opferrolle, wir bringen das Thema Mobbing in die Öffentlichkeit – und letzten Endes promoten wir unsere Zeitung. Ich garantiere dir, ein solcher Aufmacher wird mehr Emotionen auslösen als jeder Contest der Welt, weil es die Leute wirklich betrifft und nicht zweifelhafte Träume von makelloser Schönheit bedient. Glaubst du nicht auch?«
Ilonas Stirn liegt schon wieder in Falten. »Darum geht es dir also? Die Zeitung zu pushen?«
Ich verdrehe die Augen, packe sie wieder an den Schultern, um sie zu schütteln. »Hallo? Jemand zu Hause? Es geht mir um dich, Ilona! Aber es geht mir auch um die Zeitung, die du nicht weniger liebst als ich, oder?«
Jetzt ist Ilona diejenige, die auf ihrer Unterlippe
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