Frederica - sTdH 6
Mary, mit dem sie arbeitete, war ein
fröhliches Mädchen vom Land. Ihr Gesicht sah zerknautscht aus, als ob jemand
ganz fest auf ihren Kopf gedrückt hätte, als sie noch ein Baby war. Ihr Mund
war sehr breit
und groß, und sie hatte eine widerspenstige Mähne von grobem braunem Haar auf
dem Kopf. Alle Dienstboten waren fleißig und arbeiteten hart. Die Welt der
Diener war eine Welt für sich, mit einem eigenen starren Klassensystem.
Niedrige weibliche Bedienstete wie Kammermädchen durften den Salon der
Haushälterin nur am Tag ihrer Ankunft oder am Tag ihrer Entlassung betreten.
Der einzige
Bedienstete, den Frederica nicht mochte, war Mr. Smiles. Er war ein dicker,
eingebildeter Mann, der sehr stolz auf seine Livree war und seine vielen
Untergebenen von oben herab behandelte.
Er tauchte
unvermutet in den Zimmern auf, in denen Frederica und Mary arbeiteten, streifte
sich ein Paar weiße Lederhandschuhe über und fuhr mit den Fingern an allen
Kanten entlang, um zu prüfen, ob sie staubig waren.
»Wenigstens
findet er keinen Anlaß zum Tadel«, sagte Frederica zu Mary. »Die Zimmer sind
makellos.«
»Das wird
sich ändern, wenn die Gäste da sind«, sagte Mary. »Ich habe sagen hören, daß es
dann so viel Arbeit gibt, daß es beinahe unmöglich ist, sie richtig zu machen.
Die Betten sollen in der Früh gelüftet werden, aber wie soll man sie denn
lüften, wenn die Damen erst am Nachmittag aufstehen? Mr. Anderson hat auch
erzählt, daß Lady James, die auch kommt, immer an uns herummeckert.«
»Wer ist
Lady James?« fragte Frederica. Sie hatte es aufgegeben, zu versuchen, wie eine
Dienerin zu reden. Jetzt, wo sie richtig dazugehörte, schien das niemandem
aufzufallen.
»Sie ist
die Liebste von Seiner Gnaden.«
»Oh.«
Frederica war zutiefst schockiert und bemühte sich angestrengt, es nicht zu
zeigen. Sie fühlte sich schon beinahe wie eine, die zur Dienerschaft gehörte,
und hörte sich begeistert den Klatsch über die »besseren Leute« an, aber bis
jetzt war noch kein Wort über den erhabenen und furchteinflößenden Herzog
gefallen, vor dem jeder Ehrfurcht zu haben schien, einschließlich Mr. Smiles.
»Wir haben
natürlich alle gedacht, daß es aus ist«, sagte Mary und schlug dabei energisch
auf ein Kissen ein. »Und es wäre ein Glück gewesen. Mr. Anderson sagt, da hat
er sogar noch immer die alte Lady Godolphin, die auch ihre Mucken hat, lieber
hier.«
»Lady
Godolphin«, Frederica schnappte nach Luft. »Lady Godolphin kommt aber nicht
hierher?«
»Offenbar
war sie einmal vor langer Zeit hier, und Seine Gnaden hat gesagt ›nie
wieder‹.«
Frederica
stieß vor Erleichterung einen Seufzer aus.
»Aber aus irgendeinem Grund hat er
sie doch wieder eingeladen. Das hier soll ihr Zimmer sein.«
»Aber Seine
Gnaden kann doch nicht ... Ich meine, Lady Godolphin ist ziemlich alt.«
»Du kennst
sie also?«
»Sie war
eine Freundin meiner verstorbenen Herrin«, antwortete Frederica und beugte sich
über das Feuer, um die vielsagende Röte auf ihren Wangen zu verbergen.
»Natürlich macht sich der
Herzog nichts aus Lady Godolphin. Er mag blasierte Leute wie Lady James.«
»Aber es
sind doch sicherlich nur gewöhnliche Frauen, die ... Ich meine, Lady James hat
doch einen Titel.«
»Der macht
sie noch lange nicht zu einer anständigen Frau, oder? Ihr verstorbener Mann war
nur ein ›Sir‹. Ich sage dir, ich habe schon Ladys gesehen, die nicht mehr
Anstand als ein Schwein hatten.«
Frederica
dachte fieberhaft nach. Lady Godolphin würde sie erkennen. Sie hatte Frederica
erst vor einem Monat auf Dianas Hochzeit gesehen. Aber es würde schon eine Möglichkeit
geben, sich zu verbergen, ohne gleich zu verschwinden. Und Lady Godolphin
rechnete ja nicht damit, sie hier zu sehen. Für sie war Frederica nur eine
unter vielen unbekannten Dienerinnen, die die Fensterläden öffnete. Aber da
war noch Lady Godolphins Kammerzofe. Warte! Hatte nicht jemand auf Dianas
Hochzeit gesagt, daß Lady Godolphin ein neues Mädchen hatte? Ja, so war es.
Jemand hatte Lady Godolphin ein Kompliment über das Aussehen ihrer Zofe
gemacht, und sie hatte gesagt, daß ihr neues Mädchen eine Perle sei.
»Ich
dachte, die Leute nennen Seine Gnaden den ›Wüsten Herzog‹, weil er in
seiner Jugend so ausschweifend war«, sagte Frederica.
»O ja, das
war er«, sagte Mary. »Mr. Anderson erzählte einmal von den Festen, die er gab.
Halbweltdamen und leichte Mädchen rannten kreischend durch alle Zimmer und
hinter ihnen drein sämtliche
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