Frederikes Hoellenfahrt
Miersch’ Worten zu lauschen, zeigte ihm dann einen Vogel und verschwand mit der Geisel wieder im Waschsalon. Die Tür war wie die einer Festung.
»Sie scheinen den Wagen nutzen zu wollen«, Michalk stand hinter Miersch und versuchte, seine Emotionen zu verstecken. »Sie können im Auto nicht alle Geiseln mitnehmen. Sie müssen sie freilassen. Ein Hoffnungsschimmer.«
»Sie können auch ganz andere Pläne haben.« Miersch forderte auf, höchste Konzentration zu behalten. »Keine Sekunde der Unachtsamkeit! Keine voreiligen Reaktionen! Wir greifen nicht ein! Sollen sie den Wagen besteigen und fliehen, wir greifen nicht ein. Wir halten uns raus. Sie werden uns sowieso nicht entkommen.«
Dann läutete Ehrlichers Handy. Miersch hatte es sich aushändigen lassen. Ehrlicher, Sie stehen gleich mit den Gangstern im direkten Kontakt. Ihr Handy ist unsere einzige Verbindung, die sie akzeptieren. Geben Sie’s mir.
Miersch drückte Empfang. Frederike war am Apparat. Der Direktor konnte ihre Aufregung hören. Wie geht es Bruno? Eine Antwort hatte er nicht. »Die Ärzte konnten noch keine Diagnose stellen. Sie können noch keine Auskünfte geben. Die Zeit war zu kurz. Aber Ehrlicher lebt. Welche Verletzungen er hat, wissen wir nicht. Noch nicht. Wir hoffen das Beste.«
Frederike sprach, weinte. Der Polizeidirektor überlegte kurz, aber er konnte ihr und den Geiseln die Wahrheit nicht verschweigen. Sie mussten wissen, dass die Kidnapper nichts mehr zu verlieren hatten. Er musste ihnen die Gefahr deutlich machen, in der sie waren. Sehr deutlich, damit die verbliebenen Geiseln alles taten, was die Gangster von ihnen verlangten.
Sie durften keine Helden spielen und sich selbst in Gefahr bringen. »Frederike, die Gangster haben keine Angst vorm Töten.« Er zögerte. »Isabell war nicht zu retten. Die Ärzte haben alles versucht, es war nichts zu machen. Herzschuss. Innere Blutung. Sie ist leider verstorben.« Erschrecken am anderen Ende. Isabell, sie ist tot! Miersch sah es vor sich, das arme Mädchen. Er gab Frederike Ratschläge, versuchte, Mut zuzusprechen, ahnte, dass es ein vergebliches Unterfangen war. »Bitte bewahren Sie Ruhe. Sagen Sie es auch allen anderen Geiseln. Tun Sie alles, was die Kidnapper von Ihnen verlangen. Alles! Die schrecken vor Mord nicht zurück!«
Das Gespräch wurde jäh unterbrochen. Miersch redete zunächst weiter in Leere. »Setzen Sie nicht Ihr Leben aufs Spiel! Frederike … Hallo? … Hallo?« Frederike war nicht mehr am anderen Ende.
Der Polizeidirektor wandte sich zum Kleinbus der Technik. »Alles auf Band?« Die Techniker nickten. Auf Monitoren sah Miersch den Waschsalon aus verschiedenen Perspektiven. Er fragte: »Halten Sie eine Stürmung für möglich?«
»Nein«, war die kurze Antwort des Kriminaltechnikers Walter. »Nein. Wir haben keine Einsicht in den Raum. Die Jalousien verbergen alles. Wir wissen nicht, wo sich die Geiseln, wo sich die Täter befinden. Auch wenn Zeuge Tillmann-Nötzel zu Protokoll gab, dass sie im Gastraum bedroht werden. Aber er konnte im Aufriss des Raumes nicht zeigen, ob sie vor der Theke, vor den Waschmaschinen, ob sie hinten oder ganz vorn an den Fenstern liegen. Wir können nicht planen … Unbekanntes Terrain.«
»Haben Sie noch keine Rückmeldung von der Befragung der entlassenen Geiseln? Die könnten die Aussagen Tillmann-Nötzels vielleicht konkretisieren.«
»Nein, ich habe keine Rückmeldung.« Es klang wie ein Vorwurf. Miersch sah dem Kriminaltechniker an, dass er sich große Sorgen um seinen alten Kollegen und Freund Ehrlicher machte.
Miersch blickte auf seine Uhr. »Sie haben ja recht, es ist keine fünf Minuten her, dass sie rauskamen.« Pause, alle Kollegen im Bus schwiegen und starrten gebannt auf Fernsehbilder, auf denen sich rein gar nichts bewegte. Nur ein Monitor war auf die Zuschauer am Rande gerichtet, falls von dort eine Gefahr drohte. Miersch erkannte Joseph Honig, der kein Auge vom Geschehen ließ. Ständig sprach er in sein Diktafon oder Handy, diktierte wohl seinen Sensationsbericht. Miersch konnte sich die Reportage vorstellen, die er früh genug zu lesen bekam. »Dieses Verbrechen dehnt die Minuten zu Stunden. Und uns bleibt nichts als das Warten.«
»Ja …« Walter schien ihm gar nicht richtig zuzuhören.
Und dann sah Miersch auf einem der Bildschirme, dass sich die Tür zum Waschsalon öffnete. Er sah Frederike, der eine Pistole ins Genick gehalten wurde. Sie wurde auf die hinteren Sitze des Autos gezwungen. Danach sah er
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