Frederikes Hoellenfahrt
Geiselnahmen konnten sich über Stunden, Tage, Wochen hinziehen. Miersch hoffte auf ein Ende ohne weitere Gewalt. Khalid Georgieff und Isabell waren tot. Erschossen. Die Mediziner der Klinik hatten gemeldet, dass das Leben der jungen Frau nicht mehr zu retten gewesen war, zu stark waren ihre inneren Blutungen gewesen. Mierschs Töchter waren im gleichen Alter. Er verdrängte den Vergleich.
Die Scharfschützen lagen auf den Dächern der umliegenden Häuser in Stellung. Sie ließen den Waschsalon nicht aus ihrem Visier. Vordertür und Hintertür lagen in ihrem Schussfeld. Doch ihr Einsatz war fraglich, alle Geiselnahmen mit anschließender Flucht zeigten Täter mit der Pistole am Schädel der Menschen in ihrer Gewalt. Die Gefahr, unschuldiges Leben zu opfern, war sehr hoch. Aber es könnte sein, dass die Kidnapper Fehler begingen. Das Schussfeld freigaben. Konstantin Miersch würde den Befehl zum Abschuss geben. Es gab keine Alternative.
Die Tür des Waschsalons öffnete sich. Ein Mädchen, kaum achtzehn, trat mit erhobenen Händen heraus. Geschulte Einsatzkräfte zogen sie schnell aus der Gefahrenzone. Vielleicht standen die Gangster hinter den Jalousien und schossen gleich wieder. Vielleicht war diese Freilassung ein Zeichen für Verhandlungsbereitschaft. Vielleicht auch Dank für die Million und das Auto. Das Mädchen wurde schnell ins Suppengrün geführt. Erfahrene Psychologen würden versuchen, ihm Fragen zu stellen, alle Details zu erfahren. Bislang hatten die Ermittler nur vage Beschreibungen der Täter. Maske schwarz. Maske mit dicken Lippen. Dunkle Kleidung. Sie hatten die naheliegenden Schlussfolgerungen gezogen: Drogenszene. Diskokrieg. Südosteuropa. Es blieben Vermutungen. Keiner wusste um die Identität der Geiselnehmer. Keiner kannte ihre Ziele.
Nach dem freigelassenen Mädchen erschienen ein älterer Herr und zwei Frauen, die über die Straße rannten und in die Arme der Helfer sanken. Decken wurden um sie gehüllt. Beruhigende Worte gesprochen. Ihre Gesichter zeigten die überstandene Angst, sie konnten nicht glauben, in Sicherheit zu sein. Auch diese Zeugen verschwanden im Suppengrün, wurden aufdringlichen öffentlichen Blicken entzogen. Unter den Schaulustigen hinter dem Absperrband konnte Miersch mehrere Fernsehteams ausmachen. TV-Kameras filmten. Mikrofone wurden an Münder gehalten. Sie würden auch ihn erreichen. Zu sagen hatte Polizeidirektor und Einsatzleiter Konstantin Miersch der Presse bislang wenig: Zwei Gangster. Zwei Tote. Keinen Plan, die Sache schnell und erfolgreich abzuschließen. Es würde Kritik hageln. Sie würden sich die Mäuler zerfetzen. Stadtweit. Deutschlandweit. Wahrscheinlich weltweit bei solch einer Tat.
Und wieder betrat eine sehr junge Frau die Straße. Sie lief wie eine Holzpuppe, steif, starr, robotergleich. Ihr wurde eine Pistole an den Kopf gehalten. Und dann sah Miersch zum ersten Mal eine der Masken. Schwarz. Miersch hatte seinen Kräften die Befehle erteilt. Sie würden mit größtem Objektiv die Maske fotografieren, sie würden filmen. Nahaufnahme. Die Scharfschützen konnten nicht schießen. Selbst wenn dieser Täter in ihr Visier geriet und sein Abschuss erfolgen konnte, ohne eine Gefahr für die anderen zu sein, die Scharfschützen konnten nicht schießen. Ein zweiter Gangster saß noch drinnen im Waschsalon und würde keine Gnade für die übrigen Geiseln haben. Zwei Gangster. Zwei Tote. Kein Plan.
Die Maske trug dunkle Kleidung. Jeans. Sie war eher schmächtig und klein. Sie bewegte sich ohne Hast und geschmeidig. Die Augen hatte sie überall, der Kopf drehte sich ständig in eine andere Richtung. Das Mädchen in seiner Gewalt stand kurz vor der Ohnmacht. Ihr Blick konnte nichts mehr fixieren. Die Maske schob sie um das Auto herum. Was sie ihr sagte, schien die junge Frau nicht zu verstehen, sie funktionierte.
Die Maske kontrollierte den bereitgestellten Wagen, ließ sich den Koffer öffnen, nickte. Das Mädchen verschwand im Auto und kam wieder heraus. Die Maske hatte Fragen an sie. Das Mädchen nickte und schüttelte seinen Kopf. Dann waren beide um das Fahrzeug herum. Ein letzter Blick auf das Umfeld. Die rotierende Maske, links, rechts, links. Danach kam der Rückzug.
Miersch griff zum Megafon, räusperte sich. »Wir haben Ihre Forderungen erfüllt, soweit wir es konnten. Lassen Sie jetzt bitte alle Geiseln frei! Alle. Wir garantieren Ihnen freie Fahrt ohne Verfolgung. Lassen Sie bitte alle Geiseln jetzt frei!«
Die Maske schien für Momente
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