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Frederikes Hoellenfahrt

Frederikes Hoellenfahrt

Titel: Frederikes Hoellenfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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neben ihr.
    »Auch einen Schluck?«
    »Trink deinen Mist selber«, sagte die Maske, setzte seine Wodka-Flasche an und schlief wieder ein. Sie reichte ihre Flasehe nach vorn, aber Kain und Catwoman lehnten sie auch ab. Frederike setzte sie noch einmal an, dann schob sie die Flasche in den Kasten zurück.
    Aber die Bilder: Heidenau. Pirna Bahratal. Sandsteinnadeln und Tafelberge der Sächsischen Schweiz. Der Schatz im Silbersee. Krabat. Das kalte Herz. Auf der Felsenbühne hatten sie immer die Abenteuerklassiker gespielt. Sie spielten sie noch heute. Europas schönstes Naturtheater warb der Prospekt, sie sah die Plakate. Auf der Festung Königstein, juppheidi, juppheida, muss doch auch ein Bäcker sein, juppheidiheida. Bäcker schlägt die Fliegen tot, macht daraus Rosinenbrot, juppheidi, juppheida, juppheidi, fidirallala. Mit Bruno war sie in Bad Schandau gewesen. In der Toskana Therme. Aqua-Wellness. Mit Bruno … Bruno war tot.
    Die Autobahn zeigte endlos Beton. Juppheidi, juppheida. Bad Gottleuba. Die Grenze zur Tschechei. Frederike erinnerte sich, dass sie sich von dort früher Tomatenmark und süße Kaffeesahne in Tuben mitbrachten. Im Arbeiter- und Bauernstaat war das nie zu haben, Mangelware. Sie begriff es bis heute nicht. Tomatenmark! Süße Kaffeesahne! In Tuben! Beutelweise hatten sie die durch den Zoll getragen. Die Beamten hatten gelächelt. Juppheidi, juppheida, juppheidi, fidirallala. Sie hatten endlos an den Grenzhäuschen gestanden, war doch die CSSR das einzige Land, das ohne Visum erreichbar gewesen war. Prag. Pilsen. Hradec Králové. jedno pivo, prosím.
    Die Grenzhäuschen kamen in Sicht. Lkws standen auf den Parkplätzen, die Fahrer hielten ihre Lenkzeiten ein. Urlauber rasteten auf ihrer Nachtfahrt. Ihre Kidnapper wollten raus aus Deutschland. Tschechei. Slowakei. Ungarn. Serbien. Wohin sollte die Fahrt gehen? Endlos die Fahrt. Endlos. Juppheidi, juppheida, juppheidi, fidirallala.
    Der Wagen schlingerte. Leitplanke. Betonpfeiler. Kain hatte das Fahrzeug nicht mehr unter Kontrolle. Er bremste. Reifen quietschten. Die Wand der alten Abfertigungshalle kam auf sie zu. Ungenutzt. Baufällig. Sie wurde größer. Sie wurde schwarz. Frederike schrie, schrie, schrie.

5:05
     
    Miersch schwitzte. Miersch ließ sich belehren.
    »Sie gefährden die Geiseln! Mit jeder Aktion, die Sie planen, ist das Leben der Insassen in höchster Gefahr.« Der Busen der Dame wogte, ihr Atem ging schwer. Die Psychologin schob ihre Brille zurecht, nahm einen großen Schluck aus der Wasserflasche, dann ordnete sie ihre Papiere und tippte auf einen der Zettel. »Ich kann Ihnen die fehlgeschlagenen Geiselbefreiungen zitieren. Meist hat die Polizei vorschnell gehandelt. Ohne Plan. Ohne Verstand.« Das war eine blanke Brüskierung. »Das wollen Sie nicht. Oder?« Die Dame lächelte. Ihre Brille rutschte wieder zur Nasenspitze.
    »Aber …« Konstantin Miersch verzweifelte. Dr. Britt Tomaselli entkräftete all seine Argumente. Die Psychologin war gegen Straßensperren. Sie wollte keine Provokation eines Unfalls. Miersch stöhnte. Als ob er keine Qualifikationen hätte! Als ob er mit dem Leben von Frederike und Kain spielte! Aber die Einsatzleitung hörte der Psychologin andächtig zu. Michalk, Bleicher, Kowalski, alle nickten zustimmend. Britt Tomaselli redete voller Begeisterung. Es hörte sich an, als sei ihr das Leben der Geiseln egal.
    »Die Geiselnehmer müssen irgendwann schlafen. Sie müssen tanken. Sie müssen auf die Toilette.«
    »Ja.« Miersch war kaum zu hören. Und eine Frage hatte ihm Britt Tomaselli gar nicht gestellt.
    »Genau in diesen Momenten müssen Ihre Kräfte vor Ort sein.« Die Psychologin zwinkerte ihm zu und griff nach ihren Zigaretten, entzündete das Feuerzeug, inhalierte. Die Runde harrte der weiteren Ausführungen. »Wo ist Ihr Aschenbecher?« Ihr Lächeln war bezaubernd, entwaffnend.
    Miersch holte ihn aus den Tiefen des Kleiderschrankes in seinem Büro, das als Rückzugs- und Besprechungsraum der Einsatzzentrale diente. Miersch bestand nicht auf dem Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden. Er konnte die Kollegen nicht aller zehn Minuten vor die Tür schicken, wenn sie bei solcher Anspannung und diesem Stress unter Nikotinentzug litten. Er brauchte sie hier an den Telefonen, an den Computern, bei der Beratung.
    Seit einer Viertelstunde tobte die Dienstberatung. Sie konnten keine detaillierten Pläne diskutieren, keine langfristigen Strategien entwickeln. Sie konnten seit Stunden nur auf die

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