Frederikes Hoellenfahrt
immer.
8:50
»Wir müssen tanken!«
Es war soweit. Die Gelegenheit würde kommen, Kain hatte darauf vertraut. Jetzt war sie da, die Chance zu entkommen. Wir müssen tanken! Sie würden halten. Eine der Masken würde aussteigen. Frederike und er hauten ab, ehe es die zweite bemerkte. Raus und weg. Einfach so. Es würde klappen. Kain war sich sicher.
»An der nächsten Tankstelle werden wir halten.«
»Hab’s ja verstanden.« Der Kleine auf der Rückbank schien genervt. Vielleicht hatten die Lippen ihn aus dem Schlaf gerissen. Er hörte ihn hinter sich an einem Verschluss schrauben. Es zischte. Aber es war Frederike, die Wasser trank. Er schaute ihr ins Gesicht und hielt ihr noch einmal unauffällig seine Hand hin. Flieh, wenn du kannst! Frederike nickte und lächelte, als hätte er ihr eine Geburtstagsüberraschung bereitet.
Sie waren ohne Unterlass gefahren. Kain hatte mehrmals den Lippen am Steuer eine Zigarette anstecken müssen. Der Kleine soff Wodka ohne Red Bull. Das Auto stank, auch wenn Kain sein Fenster einen Spalt breit geöffnet hatte. Kalter Rauch. Schweiß. Alkohol. Eine widerliche Mischung. So stellte er sich den Geruch bei Messies in der Bude vor, aber bei ihnen verfaulte der Abfall wochenlang, nicht innerhalb von ein paar Stunden. Kain hielt seine Nase an den geöffneten Fensterspalt in die frische Luft. Wind fuhr ihm durchs Haar. Es war, als würde er duschen.
Frederike war still, sie hatte nach ihrer Einladung zum Morgenkaffee geschwiegen. Weder er noch die Masken hatten ihre kruden Sätze verstanden. Aber so gut wie dort schmeckt’s sonst nirgends. Nicht mal Corso und Kändler kommen da ran. All das war ohne Sinn. Irrsinn. So was von lecker. Ich zahl auch. Danach war sie verstummt, als hätte sie ihre Sprache verloren.
Prag. Brünn. Bratislava. Grenze Ungarn. Frederike schwieg noch immer. Kain wusste nicht, ob sie ihren Wahnsinn nur spielte oder ob sie wirklich gedacht hatte, die Masken zu einem Kaffee überreden zu können. Schwachsinnig, aber eine clevere Idee. Hatte es Frederike allerdings ernst mit dem Vorschlag gemeint, war es bedenklich und gab Anlass zu ernsten Sorgen. Vielleicht hatte Frederike gar nicht begriffen, in welcher Gefahr sie schwebten, dachte, dass sei alles ein Spiel. Kain war im Zweifel, ob Frederike ihn jetzt verstand. Flieh, wenn du kannst! Frederike lächelte, nickte, lächelte. Keiner wusste, wie man in solchen Extremsituationen reagierte, Todesgefahr konnte niemand üben. Extremsituationen geschahen. Wie jetzt. Wie wurde Frederike mit ihr fertig? Er wusste es nicht. Kain hoffte, dass sie seinen Plan verstanden hatte. Flieh, wenn du kannst!
Kain wandte sich erneut nach hinten. Frederike hatte die Augen wieder geschlossen. Vielleicht konzentrierte sie sich bereits auf ihre Flucht. Manchmal hatte er sie leise stöhnen hören. Jetzt atmete sie ruhig. Vielleicht zwang sie sich dazu, sammelte Kräfte, konzentrierte sich. Ihr Gesicht war feucht von Schweiß oder Tränen. Sie sah sehr verletzlich aus. Kain hätte sie trösten mögen, aber ihm fiel nichts ein. Und außerdem hätten die Masken etwas dagegen gehabt. Er wollte nicht provozieren.
Frederike riss ihre Augen plötzlich wieder weit auf, als hätten sie schlimme Gedanken gemartert. Kain versuchte, die Worte noch einmal mit den Lippen zu formen. Hau ab! Wenn sie halten, hau einfach ab! Frederike lächelte wieder, diesmal nicht entrückt und wie ein Kleinkind, sondern offen und klar. Sie hatte verstanden, hoffte Kain.
»Schnauze!« Die Lippen hatten sein stummes Flehen bemerkt. Er drückt Kain die Faust ins Gesicht und unterband die weitere Kommunikation. Frederikes Augen nahmen nichts wahr. Sie lächelte. Der Kleine setzte ihm von hinten die Pistole in den Nacken. »Auf dumme Ideen brauchst du gar nicht erst kommen!« Frederike hatte sich verschluckt oder bekam einen Lachkrampf.
Vielleicht hatten die Lippen wirklich seinen Fluchtplan durchschaut. Aber Frederike hatte genickt und verstanden, was sie an der Tankstelle tun sollte. Jetzt spielte sie wieder die Rolle. Aber auf meinen Morgenkaffee besteh ich! Ihr Gesicht war wieder sehr ernst, und Kain sah ihre Hoffnung, dass dieser Albtraum gleich zu Ende gehen würde. Hau ab! Raus und weg! So unter Bewachung war für ihn selbst das Entkommen aussichtslos. Der Kleine würde nicht zögern, ihn bei der kleinsten Bewegung zu erschießen. Aber Frederike würde es schaffen. Sie musste es schaffen! Raus und weg!
Die Hinweisschilder versprachen in fünf Kilometern
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