Frederikes Hoellenfahrt
Spur.« Er reichte ihr die Hand wie zur Ordensverleihung. Auch Agnes Schabowski erhob sich. »Gute Arbeit.«
»Noch hat sie uns nicht weitergebracht.« Agnes Schabowski zögerte. »Was Neues von den Geiselnehmern?«
»Nein. Wir haben keine Kommunikationsmöglichkeit mehr mit ihnen. Frederikes Handy fanden wir im Waschsalon.« Er deutete auf den Apparat, der auf seinem Tisch lag. »Leider.« Kurzzeitig hatte Miersch den Eindruck, als ob Agnes Schabowski ihm mitfühlend den Arm drücken wollte. Aber sie zog ihre Hand ohne Berührung zurück, nahm ihre Sachen und verließ den Raum. »Viel Erfolg!«, rief ihr der Direktor noch nach.
Die Kommissarin drehte sich nicht um, sondern wedelte nur hinterrücks mit der Hand. »Ihnen auch!« Pause. »Uns allen. Wir können ihn brauchen.«
Damit hatte sie recht. Miersch setzte auf Lippi kaum Hoffnung, glaubte nicht, dass das eine Spur sein könnte. Nur eins war dringend zu beenden: die Geiselnahme. Sie mussten die Geiseln lebend befreien. Dann wären auch die Identitäten der Täter geklärt. Südosteuropäer, augenscheinlich. Er las bereits die Schlagzeilen. Leipzig – Krieg der Unterwelt. Mehrere Tote! Miersch bereitete die Presse Sorgen. Hatte er sich ihren Fragen gestellt, riefen sie nach weiteren Informationen. Interviewanfragen von in- und ausländischen Rundfunk- und Fernsehstationen landeten im Minutentakt auf Bleichers Tisch und auf dem seiner Sekretärin. Er schickte zu jeder halben Stunde den Pressesprecher hinaus vor die Tür. Der erzählte den Journalisten nichts anderes als sie im Internet oder TV bereits sahen. Der Bürgermeister und die Fraktionsvorsitzenden des Stadtparlamentes verlangten ein Briefing. Miersch hatte den Abgeordneten Auskunft zu geben. In einer Stunde wollten sie ihn befragen. Natürlich konnte er sich den Tenor der Gespräche vorstellen: Diskokrieg, Bandenkriminalität, Mafia. Und wo bleibt die Polizei? Er hatte es satt. Er brauchte dringend ein paar Minuten Ruhe, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Er musste sich aus dem Haus schleichen. Er würde im Schokoladenstübchen einen Kakao trinken. Er würde eine kleine Tafel Zartbitter vernaschen. Es durfte ihn nur keiner auf dem Weg dorthin sehen. Sie würden es ihm als Flucht vor der Verantwortung und als Schwäche auslegen.
Das Handy Frederikes auf seinem Tisch läutete. Die Kriminaltechniker hatten es ihm übergeben, nachdem sie es untersucht hatten. Miersch ahnte, wer anrief. Bruno Ehrlicher. Das Krankenhaus hatte ihn informiert, dass der alte Kommissar seine Behandlung abgebrochen hatte. Auf eigene Verantwortung. Das sah Ehrlicher ähnlich.
Miersch nahm das Gespräch nicht an, obwohl er wusste, dass der ehemalige Chef der ersten Leipziger Mordkommission in wenigen Minuten sein Büro stürmen würde. Miersch musste den Kollegen vom Einlass Bescheid geben. Für Ehrlicher war das Präsidium ab sofort strengstens verboten.
Sosehr Miersch auch Ehrlichers Situation verstand, aber bei den Ermittlungen konnte der Hauptkommissar a. D. nur stören. Und sollte es einer der Kollegen wagen, ihm Auskunft zu geben, dann hatte er mit disziplinarischen Maßnahmen zu rechnen. Ehrlicher war Zivilist. Sie gestatteten auch keinem anderen die Mitarbeit. Es war und blieb Job der Polizei. Ehrlicher war draußen.
Miersch griff zum Mantel. Er sagte nur der Sekretärin und Bastian Michalk, dass er etwas essen ginge, und verschwand. Er wählte den Ausgang über die Hintertür beim Gericht und hoffte, dass auf dieser Nebenstraße keine Journalisten lauerten. Miersch stellte den Kragen hoch und bedauerte, keinen Hut zu tragen, den er wie Humphrey Bogart in die Stirn schieben konnte.
Das Schokoladenstübchen lag in der Nähe des Präsidiums und pries sich als Oase für Feinschmecker. Miersch saß hier, wenn er dem Trouble seines Jobs entfliehen wollte. Es hatte gerade geöffnet. Kein Mensch saß an den wenigen Tischen. Er bestellte Trinkschokolade und ließ sich zu drei handgefertigten Trüffeln überreden. Er wusste nicht mehr, seit wann ihn Schokolade entspannte. Aber sie tat es.
Die zweite Praline zerging gerade auf seiner Zunge, als sich die Tür öffnete und Miersch nicht mehr auf der Toilette verschwinden konnte. Es konnte kein Zufall sein, dass Bruno Ehrlicher in diesem Moment im Schokoladenstübchen erschien. Seine Sekretärin wird dem Kommissar doch seinen Schlupfwinkel nicht verraten haben. Ehrlicher nahm sofort neben ihm Platz.
»Wie geht es ihnen?« Das war keine Frage, es klang wie ein
Weitere Kostenlose Bücher