FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
es ja.
Rosa gab jedenfalls die Hoffnung nicht auf, dass Benno sie schließlich doch noch aufsuchen würde. Zwischen ihnen beiden war etwas geschehen, das hatte sie deutlich gespürt. Ein Gefühl der Vertrautheit; der Nähe; ein Empfinden, das man nicht mit Worten beschreiben, sondern nur mit dem Herzen erfassen kann.
Sie seufzte. Wie schön wäre es, wenn Benno jetzt um die Ecke käme und sie mit seinem jungenhaften Lächeln begrüßen würde! Wenn er sie zum Markt begleiten und ihr bei der Auswahl der dort angebotenen Waren helfen würde. Oder wenn sie beide Hand in Hand am Elbufer sitzen könnten. – Doch sosehr Rosa auch das Getümmel auf dem Marktplatz mit ihren Blicken absuchte, der junge Advokat war nirgendwo zu sehen.
Auf dem Alten Markt herrschte reges Treiben. Auch wenn Feldmarschall Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim schon seit Wochen mit seinen zehntausend Mann im Erzstift lag und die Stadt mit seinen Kürassieren ständig bedrohte, ließen sich Händler, Bauern, Marktfrauen und Schausteller nicht abschrecken, den wöchentlichen Markt abzuhalten. Der Geruch von gebratenen Hühnern, Sauerkraut, frisch gezapftem Bier und Gewürzen hing in der Luft. Marktschreier boten lautstark ihre Waren an, während Gaukler und Artisten die Aufmerksamkeit der Besucher zu gewinnen suchten. Stände mit Eiern, Fleisch, Brot, verschrumpelten Äpfeln und Möhren oder eingekochtem Obst und Gemüse wechselten sich ab mit Buden, in denen Kleidung, Schuhe oder Haushaltswaren angeboten wurden. Ein Quacksalber pries wortreich ein Wundermittel an, das vom Haarausfall bis zu Magenbeschwerden alles zu heilen vermochte. Und Bänkelsänger trugen zur Laute oder Fidel ihre Schauerballaden von Liebe, Mord und Katastrophen vor.
Rosa fühlte sich in diesem bunten Treiben wohl. Es gab viel zu sehen und zu hören. Sie konnte in Stapeln von Decken, Schals und Schürzen wühlen, neue Gewürze entdecken oder exotische Speisen kosten. Hier war sie nicht länger die verachtete Gerberstochter, denn Schausteller und Marktweiber machten keinen Unterschied, wenn es ums Geschäft ging. Hauptsache, es klingelte im Beutel.
Zwei Jungen bewarfen sich gegenseitig mit kleinen Steinen.
»He, Conrad«, rief Rosa dem größeren Jungen zu, »hör auf, den Michi mit Steinen zu bewerfen. Das gilt auch für dich, Michi! Lass Conrad in Ruhe.«
Doch die beiden grinsten sie nur frech an und liefen lachend davon.
»Dankst du so, dass ich dich aus dem Fluss gezogen habe?«, rief Rosa ihm hinterher.
Doch Conrad Friese streckte ihr nur die Zunge raus, und lief weiter.
»Rotzfrech wie ein Straßenlümmel, dieser verzogene Sohn des Stadtschreibers«, sagte eine alte Frau kopfschüttelnd.
»Das kann man wohl sagen, Mütterchen«, antwortete ihr Rosa. »Kaum sind seine Hosen trocken, trumpft er wieder groß auf.«
»Wie sein Vater. Der war früher auch eine richtige Rotznase, und heute spielt er sich im Stadtrat auf«, nickte die Frau und ging weiter.
Heute herrschte eine besondere Stimmung auf dem Markt. Der Mord an Kaufmann Emmerich hatte sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt herumgesprochen. Mägde tuschelten seit Tagen darüber beim Wasserholen am Brunnen. Kaufleute redeten mit sorgenvollen Gesichtern über die unsichere Zeit und die Gefahren für Leib, Gut und Leben. Mütter drohten ihren ungezogenen Gören damit, dass die bösen Männer auch sie eines Tages im Fluss versenken würden, sollten sie ihren Eltern nicht gehorchen, und die Waschweiber ratschten am Elbufer beim Schrubben der Wäsche mit selbstzufriedener Häme über die Wasserleiche.
»Was hat er nun von all seinem Geld?! Tot isser, mausetot. Konnte keinen roten Heller mitnehmen.«
»Geschieht ihm ganz recht, diesem alten Raffknochen! Hungerlöhne hat er bezahlt, und seine minderwertigen Metallwaren hat er überteuert angeboten. Wie sonst konnte er so reich werden?!«
»Ich hab schon lange nicht mehr bei ihm gekauft.«
»Aber seine Alte hat ihn auch immer kurzgehalten und sich selbst dabei ebenso nichts gegönnt. Hat immer nur gerafft.«
»Glücklich sah der Emmerich jedenfalls nie aus, trotz all seinem Geld. Und nun dieses schreckliche Ende!«
»Hm, wer viele Taler in seinem Säckel hat, lebt eben gefährlich. Das sollte allen reichen Köpfen eine Lehre sein.«
Rosa hörte nicht auf solches Geschwätz. Sie war keine neugierige Klatschbase, die sich überall einmischen musste. Aber seit ihrem schaurigen Fund hielt sie Augen und Ohren offen. Vielleicht konnte sie etwas aufschnappen
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