FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Dom reparieren lassen, ohne dass jemand davon erfuhr. Jesus hatte ja gesagt, man solle mit seinen Wohltaten nicht prahlen.
An einer Bude mit Kochtöpfen warf sie einen verstohlenen Blick zurück. Doch die beiden Männer waren verschwunden. Rosa atmete auf. Ein Glück, sie hatte sich nicht verdächtig gemacht!
Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf: Was wäre, wenn die beiden mit der Ermordung von Kaufmann Emmerich zu tun hatten? Der Mörder und sein Auftraggeber, aufgescheucht durch die Entdeckung des Leichnams. Gar nicht so abwegig der Gedanke! Doch nein, die würden doch niemals so dumm sein, sich am helllichten Tag auf dem Marktplatz zu verabreden. Hier, wo jeder sie sehen konnte. Nicht bei einem Mordfall! – Oder vielleicht gerade deshalb hier, wo niemand es vermuten würde?
Rosa setzte sich auf die Stufen eines Reiterdenkmals, das einen jungen Herrscher zu Pferd darstellte, der von zwei Frauen begleitet wurde. Die eine trug ein Schild, die andere eine Fahne. Es hieß, dieser Reiter solle Kaiser Otto der Große sein, aber es gab keinerlei Inschrift, die das bestätigte.
Rosa schloss ihre Augen, um in Ruhe nachzudenken. Die Sonne schien angenehm warm auf sie herab. Das Stimmengewirr um sie herum ebbte ab und schien schließlich nur noch aus weiter Ferne zu kommen.
Jetzt erinnerte sie sich wieder. Sie hatte den Ratsherrn schon einmal gesehen. Es war vor einigen Monaten gewesen, als er am Sonntagmorgen würdevoll die Ulrichskirche betreten hatte, in der sich gewöhnlich die Frömmsten der Frommen versammelten, wohlhabende und einflussreiche Kaufleute, die Reichsten der Reichen. Er schien dort viele Freunde zu haben, denn die anderen Gottesdienstbesucher hatten ihm wohlwollend zugenickt. Auch Otto Guericke hatte den Ratsherrn begrüßt, und der war über allen Zweifel erhaben. Seine Gattin Margaretha stammte sogar aus der alten Ratsherrnfamilie Alemann, die schon so manchen Bürgermeister gestellt hatte.
Sollte ein Freund solch angesehener Bürger Magdeburgs etwa in einen Mordfall verwickelt sein? Ein frommer Christ? Nein, das konnte nicht sein! Bestimmt irrte sie sich.
Normalerweise ging Rosa immer nach St. Jakob, wo die Armen Magdeburgs der sonntäglichen Predigt lauschten, aber sie wollte einmal sehen, wie die Wohlhabenden Gottesdienst feierten. Deshalb hatte sie sich ganz hinten in das Kirchenschiff geschlichen, wo sie niemand zur Kenntnis nahm. Dr. Christian Gilbert de Spaignart, ein fanatischer Lutheraner und Pfarrer der Ulrichskirche, hatte damals gegen diejenigen gewettert, die Frieden mit den Katholischen schließen wollten, weil dies Einheit auf Kosten der Wahrheit sei, und das habe der Reformator schon zu seiner Zeit mit scharfen Worten angeprangert. Denn dadurch würde »der ganze Christus untergehen«. Und genau das habe Luther ja auch prophezeit.
»Aber nicht mit uns!«, hatte de Spaignart hitzig gerufen. »Nicht mit uns! Wie damals werden wir für das Überleben der Reformation kämpfen. Nein, nicht für das Überleben, sondern für den Sieg der Reformation! Denn wir sind des Herrgotts Kanzlei! Wir sind es!«
Die Gottesdienstbesucher der Sankt-Ulrich-und-Levin-Kirche waren schon immer ein besonderes Volk gewesen. Sie blickten stolz auf die sechshundertjährige Geschichte ihres Gotteshauses. Bischof Ulrich von Augsburg war der Namenspatron der Kirche. Außerdem hatte man sie nach einem Stadtbrand im Jahr 1188 dem Heiligen Livinus geweiht, der sonst hauptsächlich in Flandern verehrt wurde.
Es machte den reichen Protestanten nichts aus, dass die beiden Namensgeber der sonst so verhassten Papstkirche angehört hatten. Schließlich war Livinus im siebten Jahrhundert als Märtyrer für seinen Glauben gestorben. Heiden hatten ihm seine Zunge herausgerissen und ihn anschließend enthauptet. Er war ein Martin Luther seiner Zeit gewesen, der für Gottes Wort gestritten und dies mit seinem Leben bezahlt hatte. Das bewunderten die Gemeindeglieder von Sankt Ulrich an ihm. Genauso wenig wie Livinus wollten sie sich mundtot machen lassen. Deshalb hatte die Ulrichskirche in der Zeit der Reformation ja auch eine besondere Rolle gespielt.
Im September 1524 war Nikolaus von Amsdorf, ein enger Vertrauter Martin Luthers, Prediger an Sankt Ulrich und zugleich Superintendent von Magdeburg geworden. Tatkräftig und mit Begeisterung hatte er in der Stadt der Reformation zum Durchbruch verholfen. Nach der Besetzung Wittenbergs durch kaiserliche, katholische Truppen im Jahr 1547 waren außerdem viele
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