FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Vater nicht übel. Er spricht manchmal doppeldeutig«, versuchte die junge Frau zu erklären.
Inzwischen hatte sich Carl-Ulrich Stetter auf einem Schemel neben dem Sofa niedergelassen und begann alles der Reihe nach zu erzählen. Gespannt folgte Benno seinen Worten. Er erinnerte sich nun, wenn auch noch dunkel und verschwommen: In der Nähe des Stadttors. Der Einspänner. Die dunkelhaarige Schönheit. Dann brach die Erinnerung ab. Ein Unfall war es also gewesen.
Benno blickte die beiden an. Sie schienen verunsichert zu sein.
»Ah, jetzt weiß ich, was Sie denken. Nein, nein, vergessen Sie das mal auf der Stelle. Ich bin zwar Advokat, aber kein Unmensch. Sie haben nichts zu befürchten. Keine Klage wegen Körperverletzung oder irgendwelche anderen Unannehmlichkeiten. Nur eins hätte ich gerne.«
Anneliese und ihr Vater wirkten immer noch ein wenig angespannt.
»Merken Sie nicht, wie sehr es hier nach Abfällen stinkt? Ich brauche dringend ein Bad und saubere Kleidung. Ich kann mich schon selbst nicht mehr riechen.«
Nun kam Leben in Carl-Ulrich Stetter. »Ich lasse Ihnen sofort einen Zuber mit heißem Wasser und Seife herrichten. Und Ihre Kleidung werden wir so schnell wie möglich reinigen. Alles wird zu Ihrer Zufriedenheit sein.«
»Nun überschlagen Sie sich bitte nicht gleich«, versuchte Benno ihn zu bremsen. »Lassen Sie sich ruhig Zeit. Ist doch gut, dass Ihrer Tochter nichts passiert ist, und meine kleine Beule am Hinterkopf ist bald vergessen.«
Anneliese atmete deutlich hörbar auf, und auch ihr Vater wirkte erleichtert, dass Benno keine Schadensersatzansprüche stellte.
»Ich lasse Ihnen den Zuber und saubere Wäsche bringen«, wiederholte Meister Stetter, ehe er den Raum verließ. Doch er steckte den Kopf noch einmal durch die Tür. »Wenn ich noch irgendetwas für Sie erledigen soll, lassen Sie mich es wissen. Soll ich jemanden informieren, dass Sie sich in den nächsten beiden Tagen in meinem Haus aufhalten?«
»Nein, das ist nicht nötig«, wehrte Benno ab. »Da ich gerade erst nach Magdeburg gekommen bin, kennt mich hier fast niemand. Alles andere kann warten.«
Meister Stetter nickte ihm noch einmal freundlich zu und schloss die Tür.
Alles andere kann warten. Nun, der Mordfall Emmerich hatte keine Eile. Schließlich hatte man die Leiche des Kaufmanns schon vor vielen Wochen in der Elbe versenkt. Da kam es auf drei oder vier Tage mehr auch nicht an. Schade nur, dass er diesen hellblonden Engel mit ihrem bezaubernden Lächeln – wie war noch mal ihr Name? Ach ja, Rosa. – Schade nur, dass er Rosa, die Tochter des Lohgerbers, nicht so schnell wiedersehen würde.
»Möchten Sie etwas zu trinken oder eine heiße Suppe?«, riss Anneliese ihn aus seinen Gedanken.
»Danke, ja, am besten beides«, nickte Benno. »Zuerst ein Glas Wasser, bitte.«
»Ich bin sofort zurück«, lächelte sie ihn an.
Benno Greve sank erschöpft in sein Kissen und schloss die Augen. Was für ein Tag! Ein Mord, ein Unfall und zwei atemberaubende Schönheiten!
3.
Kaum war der letzte Regentropfen vom Himmel gefallen, riss die Wolkendecke wieder auf. Das Sonnenlicht funkelte auf dem nassen Kopfsteinpflaster, spiegelte sich in den Pfützen und erwärmte die Luft. Eine Horde Spatzen stritt lautstark vor dem Haus um Brotkrumen.
Wie warm es dieses Jahr schon im März ist!, dachte Rosa Münkoff und griff ihren Weidenkorb, um in aller Seelenruhe über den Marktplatz zu schlendern. Es war der erste warme Frühling seit sechzig Jahren. Soweit Rosa zurückdenken konnte, waren auch alle Sommer bisher verregnet und kalt gewesen. Doch dieses Jahr schien das Wetter besser zu werden.
Eigentlich hatten Rosa und ihr Vater alles im Haus, aber es zog sie unter die Menschen. Insgeheim hoffte sie, dem jungen Advokaten über den Weg zu laufen, den sie hier zum ersten Mal gesehen hatte. Benno Greve hatte versprochen, sich bei ihr zu melden. Aber es waren wohl doch nur Worte gewesen, eine höfliche Floskel gegenüber einer attraktiven Frau, mit der man nur ein wenig flirten will. Mehr nicht.
Wäre sie nicht die Tochter des Lohgerbers, hätte er sicherlich schon am nächsten Tag bei ihr angeklopft. Sie konnte verstehen, dass er es nicht getan hatte. Ein Mann seines Standes musste den Besuch des stinkenden Gerberviertels als Zumutung empfinden.
Vielleicht aber waren ihm dringende Termine dazwischengekommen. Oder er musste wegen eines juristischen Falls für einige Tage die Stadt verlassen. Vielleicht war er krank geworden. Möglich wäre
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