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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

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Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Wittwer
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Gelehrte der Universität Wittenberg nach Magdeburg geflohen. Im Pfarrhaus der Ulrichskirche hatten sie Hunderte von Streitschriften verfasst, in denen sie für den Protestantismus kämpften. Deshalb wurde Magdeburg auch »Unseres Herrgotts Kanzlei« genannt. Matthias Flacius und Johann Wigand waren in jenen wilden Tagen Pfarrer an der Ulrichskirche. Sie hatten ein viel beachtetes und ausführliches Werk zur Kirchengeschichte veranlasst, die sogenannten »Magdeburger Centurien«.
    Kein Wunder also, dass die Gemeindeglieder der Ulrichskirche traditionsbewusst waren und manchmal auch ein wenig hochnäsig auf die Gottesdienstbesucher im Dom herabsahen, die immerhin die Grabkirche Kaiser Ottos I. war, das älteste gotische Bauwerk auf deutschem Boden und zugleich das Wahrzeichen der Stadt.
    Doch manche Anhänger der Ulrichskirche hatten auch schon zu den Waffen gegriffen, um ihre Sicht des Glaubens durchzusetzen. Da war dann keine Rede mehr von Feindesliebe, und als Schwert diente nicht mehr Gottes Wort, sondern die Klinge aus Stahl.
    Rosas Gedanken kehrten zum Ratsherrn zurück. Die Gemeindeglieder von Sankt Ulrich hatten ihn hochachtungsvoll gegrüßt. Er gehörte zum Rat der Stadt und hatte mit Sicherheit viel zu sagen. Warum wollte sich ein solch angesehener Mann mit diesem windigen Typen treffen? Sie musste es herausfinden, denn selbst wenn die beiden im Fall Emmerich nicht ihre Hände im Spiel hatten, wussten sie vielleicht etwas, das Benno Greve weiterhelfen konnte.
    »Hallo, holde Maid.«
    Rosa schreckte hoch. Vor ihr stand der schlaksige Mann mit dem speckigen Wams. Weil sie gegen die Sonne blicken musste, konnte sie seine Gesichtszüge nicht klar erkennen. Doch spürte sie deutlich den Spott in seiner Stimme. Offensichtlich hatte auch er die schaurige Ballade des Bänkelsängers gehört. Mit ihrem langen hellblonden Haar fiel sie ohnehin auf, und nun würde sie wohl jeder mit der Wasserleiche in Verbindung bringen, der ihr begegnete. Wenigstens für die nächsten Monate, bis wieder etwas Neues in der Stadt geschah, über das man sich das Maul zerreißen konnte.
    »Was wünschen Sie?« Sie blickte den Mann fragend an, als würde sie ihn das erste Mal sehen.
    Ohne ihr zu antworten, fuhr der Mann fort: »So, so, du bist also die Dirne, die den Emmerich aus der Elbe gezogen hat.«
    ›Dirne‹, hatte er gesagt. Rosa spürte, wie es in ihr zu kochen begann. Damit wollte er nur ihren niederen Stand herausstellen, obwohl er selbst ein Dahergelaufener war! Aber sie bezwang ihren Ärger und schüttelte den Kopf: »Nein, der Büttel hat ihn mit seiner Hellebarde herausgefischt. Sie müssen den Leuten nicht alles glauben.«
    »Aber du hast ihn doch gefunden, oder?!«, drang der Mann weiter in sie.
    »Nicht gerade gefunden«, versuchte Rosa von sich abzulenken, denn inzwischen sammelten sich schon neugierige Gaffer um sie. »Ich habe Frieses Conrad aus dem Fluss gezogen und dabei etwas unten auf dem Grund gesehen. Dass es der Emmerich war, wusste ich nicht.«
    »Ah, dann bist du ja eine Heldin. Hast dem Conrad das Leben gerettet.«
    Rosa wunderte sich keineswegs, dass auch dies recht spöttisch klang. Überhaupt hatte sie den Eindruck, der Schlaksige versuchte sie auszuhorchen. Er wollte nicht einfach nur seine Neugier befriedigen, nein, er wollte wissen, was sie wusste. Und das machte ihn für sie erst recht verdächtig.
    Er versuchte sie in aller Öffentlichkeit auszuhorchen. Das war nicht besonders klug von ihm. Dennoch kam er sich äußerst gescheit vor und betrachtete Rosa wohl als kleines Dummchen. Doch da hatte er sich gehörig geschnitten! Von ihr würde er nichts erfahren.
    »Ach, das hätte doch jeder getan«, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und erhob sich, um weiterzugehen.
    Doch der Schlaksige beugte sich vor und sagte so leise, dass nur Rosa es hören konnte: »Die Wasserleiche sah schrecklich aus, nicht wahr? Übel zugerichtet haben sie den Emmerich. Mit denen ist nicht zu spaßen.«
    Der Mann trat wieder einen Schritt zurück und grinste sie mit seinen gelben Zähnen an, als freute er sich, ihr einen Schrecken eingejagt zu haben.
    »Rosa, die Retterin von Frieses Conrad!«, rief er nun laut. »Ohne sie wäre der arme Junge in der Elbe abgesoffen.«
    Die Umstehenden klatschten Beifall. Rosa wandte sich schnell um und ging davon. Nun hatten die Leute wieder neuen Stoff für ihr Getratsche. Auch wenn sie dich heute loben, können sie schon morgen deinen Scheiterhaufen anzünden. Sie nannten sich

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