FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
letzten Tage Magdeburgs angebrochen waren. Anneliese spürte, wie unruhig und besorgt ihr Vater tief in seinem Inneren war, obwohl er äußerlich gelassen erschien.
»Wenn die Kaiserlichen durchbrechen, werden sie die Stadt plündern«, sagte er in einem Ton, als wenn er über einen Krieg in einem fernen Land sprechen würde. »Beute machen gehört zum Krieg. Davon leben die Söldner. Wir dürfen uns also keinen Illusionen hingeben, dass wir ungeschoren davonkommen werden. Deshalb habe ich einen Teil unserer Ersparnisse gut versteckt.«
Er beugte sich zu Benno Greve hinüber und sagte: »Sie werden verstehen, dass ich jetzt nicht sage wo, auch wenn ich kein misstrauischer Mensch bin und Sie schon fast zur Familie gehören.«
Benno nickte verständnisvoll und blickte über den Tisch zu Anneliese hinüber.
Dann fuhr ihr Vater fort: »Mit dem anderen Teil werden wir uns freikaufen. Vielleicht können wir die ersten Söldner, die in unsere Straße kommen, als Schutzwache gewinnen. Wenn wir ihnen genug bezahlen, sind sie vielleicht bereit, unser Eigentum zu schützen.«
»Meinst du wirklich, dass es so schlimm kommt?«, fragte ihre Mutter ihn.
»Ja, Martha, die Söldner werden sich alles nehmen, was für sie von Wert ist. Deshalb wäre es sogar gut, wenn wir einen Offizier überzeugen könnten, die Druckerei zu schützen. Auch Sieger brauchen die Presse, und wenn es nur Nachrichtenblätter wären, um die Bevölkerung der Stadt über ihre Maßnahmen zu informieren.«
»Gebe Gott, dass die Kaiserlichen dann einsichtig sind und wir mit ihnen verhandeln können. Besser wäre noch, wenn Gustav Adolf kommen würde, um Tilly zu vertreiben«, seufzte Martha.
»Mir wäre auch wichtig, wenn unsere Bibliothek keinen Schaden nimmt«, warf Anneliese nun ein. »Diese Bücher haben einen unschätzbaren Wert. Die Soldaten können damit aber nichts anfangen. Ich kann mir vorstellen, dass sie einfach alles aus dem Regal reißen und aus dem Fenster werfen, wenn sie unser Haus plündern.«
Carl-Ulrich Stetter nickte heftig: »Ja, das stimmt. Diese Bücher sind für uns unersetzlich. Aber wo wären sie vor den Feinden wirklich sicher?«
Benno, der sich offensichtlich schon wie ein Familienmitglied fühlte, räusperte sich: »Vielleicht im Kloster Unser Lieben Frauen? Das ist ja ein katholisches Haus, und sicherlich werden die Kaiserlichen das nicht verwüsten. Man könnte ja mit den Prämonstratensern eine Abmachung treffen. Die neun Mönche leben dort recht erbärmlich, nur um ihrer Kirche das Kloster zu erhalten. Die sind bestimmt über jeden Groschen froh, der ihnen hilft, ihre knurrenden Mägen zu füllen. Für eine größere Summe würden sie eure Büchersammlung sicherlich aufbewahren.«
»Gute Idee!«, rief Annelieses Vater. »Ich werde gleich morgen bei den Mönchen vorbeischauen und mit ihnen verhandeln.«
»Aber geben Sie sich nicht zu protestantisch, Meister Stetter. Besser ist, Sie sprechen hochachtungsvoll über die Kaiserlichen«, riet ihm der junge Mann.
»Keine Sorge, ich werde diplomatisch sein, ohne zu heucheln«, nickte dieser.
Benno ist doch ein Schatz!, dachte Anneliese und blickte ihn liebevoll an. Er hat immer eine Lösung, wenn Probleme auftauchen. Wie schön wäre es, ihn an meiner Seite zu haben, ein ganzes Leben lang!
Benno schien zu spüren, was sie dachte, und errötete leicht, doch dann fuhr er fort, als wollte er von sich ablenken: »Im Stadtarchiv liegt doch die größte Sammlung von Rechtssprüchen Europas, und auch das Magdeburger Recht hat mit seinen Gesetzen und Regeln viele Städte und Länder beeinflusst. Prozessordnung, Kaufmannsrecht, Ehe- und Erbrecht, Strafrecht und Prozessordnung sind wichtige Dokumente, die ebenso vor einer Plünderung oder Brandschatzung geschützt werden sollten!«
»Da stimme ich Ihnen zu, Herr Advokat«, sagte Carl-Ulrich Stetter und klopfte ihm auf die Schulter, »doch wer soll das machen, wenn die kaiserlichen Horden die Stadt stürmen? Da werden Vernunft und Weitblick mit Sicherheit von Gier und Zerstörungswut überrannt.«
»Wie sollen wir uns verhalten, wenn die Mauern fallen?«, fragte Benno seinen Lehrmeister. »Werden Sie dann zum Schwert greifen?«
»Wenn es sein muss, ja!«, nickte dieser grimmig. »Ich werde meine Frau und meine Tochter mit meinem Leben schützen, wenn die Männer nicht mit sich verhandeln lassen. Und dann gnade ihnen Gott! Sie müssen wissen, die meisten Söldner können nicht fechten. Sie haben nur gelernt, draufzuhauen. Gegen
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