FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Prediger ihm aus dem tiefsten Herzen gesprochen hätte.
Nach dem Gottesdienst trafen sich Benno und Rosa wieder und gingen gemeinsam zum Prämonstratenserkloster. Sie setzten sich im Klostergarten auf eine Bank, um ihre Beobachtungen zu besprechen.
»So, wie sich der Ratsherr während des Gottesdienstes verhalten hat, kann er kein Jesuit sein«, meinte Rosa.
»Oder er ist ein guter Schauspieler«, entgegnete ihr Benno.
»Er wäre ein sehr guter Schauspieler.«
Benno zuckte mit den Schultern.
»Wir sind also nicht viel weitergekommen«, seufzte er.
»Und was nun?« Rosa blickte ihn fragend an.
»Tja, abwarten. Vielleicht begeht der Täter einen Fehler, weil er sich nun in Sicherheit wiegt. Oder von Absberg verrät sich oder seine Pläne, falls er tatsächlich ein Jesuit sein sollte.«
»Was könnte er dann vorhaben?«, fragte Rosa ihn.
»Tilly helfen, die Stadt zu erobern?«
»Ja, das könnte sein, bloß wie?«
In diesem Moment kam Hans Münkoff durch den Klostergarten. Er schien ein wenig durcheinander und außer Atem zu sein.
»Ach, hier seid ihr!«, rief er schon von Weitem.
Er eilte zu ihnen hinüber und ließ sich neben seiner Tochter auf die Bank fallen.
»Ich war in St. Jakob«, begann er aufgeregt zu erzählen. »Nach dem Gottesdienst sammelte sich eine Menschentraube um eine Hebamme. Die hat uns eine fürchterliche Geschichte erzählt.«
»Was ist passiert?«, fragte Rosa neugierig.
»Es heißt, die Frau eines Korporals in der Neustadt habe vergeblich versucht, ihr Kind zur Welt zu bringen. Kurz bevor sie starb, habe sie darum gebeten, dass man ihren Leib nach ihrem Tod öffnen soll, um das Kind anzuschauen. Man habe dann einen toten Jungen in ihrem Bauch gefunden, der so groß wie ein Dreijähriger gewesen sein soll.«
»Was«, staunte Rosa, »ein solch großes Kind?«
»Ja, aber es kommt noch viel schlimmer. Seine Haut soll so dünn wie Papier gewesen sein, und sein Körper sei seltsam verformt gewesen. Es habe ausgesehen, als wäre er mit Stiefeln, Helm und Waffenrock bekleidet. Außerdem sei an seiner Seite eine fleischerne Munitionstasche gewachsen, in der Knoten in der Form und Größe von Musketenkugeln gelegen hätten.«
»Wie schrecklich!«, rief Rosa bleich geworden.
»Alle, die das gehört haben, waren sich einig, dass dies ein Zeichen für den Untergang der Stadt ist«, nickte ihr Vater heftig.
Benno blickte Hans Münkoff skeptisch an.
»Ist das nicht ein typisches Ammenmärchen?«
»Die Frau hat hoch und heilig selbst geschworen, dass die Geschichte wahr sei. Sie sei dabei gewesen, und wir könnten auch den Arzt fragen, der das Kind herausgeschnitten habe«, verteidigte der Gerber die Geschichte.
»Ich bin immer misstrauisch, wenn ich solche Berichte höre. Menschen erfinden manchmal so etwas, um ihre Angst zu bekämpfen. Und je öfter sie ihre Geschichte erzählen, desto mehr glauben sie, alles sei wahr, bis sie schließlich nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Märchen unterscheiden können«, erklärte Benno den beiden.
»Aha«, sagte Rosa nur, und ihr Vater blickte den Advokaten zweifelnd an.
»Entschuldigt mich bitte«, sagte Benno unvermittelt, »mir ist gerade eingefallen, dass ich bei Familie Stetter zum Mittagessen eingeladen bin. Ich wäre zwar lieber bei euch geblieben, aber ich habe versprochen, zu ihnen zu kommen. Vielleicht wollen sie einiges mit mir besprechen. Ich weiß es nicht.«
»Bei uns würdest du ja nur einen Kanten trockenes Brot bekommen«, knurrte Hans Münkoff.
»Nun, das Essen der Wohlhabenden ist nicht mehr, was es früher war«, erwiderte Benno, »auch die müssen ihren Gürtel enger schnallen. Wahrscheinlich gibt es heute Mittag nur dünne Graupensuppe bei den Stetters. Ein Stück Brot wäre mir da lieber, glaubt es mir.«
Rosa erhob sich von der Bank, legte Benno ihre Arme um den Hals und sagte: »Dann wünsche ich dir einen guten Appetit. Aber nicht an der Tochter des Hauses naschen!«
Benno errötete bis unter die Haarspitzen.
»Ich liebe dich, Rosa«, sagte er wie zur Entschuldigung.
»Ich weiß es, Benno, aber auch ein Blinder sieht, dass Anneliese dir nicht gleichgültig ist und schöne Augen macht.«
Sie küsste ihn zum Abschied so warm und zärtlich auf den Mund, als wollte sie ihm jeden Gedanken an die Tochter des Druckermeisters auslöschen.
Die Stimmung der Stetters beim Mittagessen war gedrückt, und daran war nicht allein das karge Mahl schuld. Carl-Ulrich Stetter machte keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass die
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